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Terror-Drahtzieher identifiziert

Vierter Täter von London in Jamaika geboren - Sicherheitsdebatte

London (dpa/Reuters). Eine Woche nach den Terroranschlägen von London fahndet die Polizei weiter nach möglichen Hintermännern und Komplizen. Nach einem Bericht der »Times« glaubt Scotland Yard, den Drahtzieher der Anschläge identifiziert zu haben, einen Briten pakistanischer Herkunft mit Al-Kaida-Kontakten.

Er sei im Juni in einem britischen Hafen eingetroffen, um den vier Selbstmordattentätern Anweisungen zu geben. Er soll die Attentäter in Leeds getroffen haben und dort seine »Rekruten« unterwiesen haben, wie die Bomben gleichzeitig zu zünden seien. Möglicherweise sei er auch selbst der Bombenbauer, berichteten andere britische Medien. Der Gesuchte soll um die 30 Jahre alt sein. 24 Stunden vor den Anschlägen habe er das Land wieder verlassen.
Als Täter wurden vier muslimische Selbstmordattentäter im Alter von 18 bis 30 Jahren identifiziert. Drei der Täter waren pakistanischer Abstammung, stammten aus der nordenglischen Stadt Leeds und waren in England zur Welt gekommen. Nach Angaben der Polizei handelte es sich bei dem vierten Terroristen um Lindsey Germaine, der in der Grafschaft Buckinghamshire wohnte und in Jamaika geboren wurde.
Unter Berufung auf Polizeiquellen meldete die britische Presse, dass außerdem ein möglicher »fünfter Bomber« gesucht werde. Bilder von Überwachungskameras zeigen, dass die vier Attentäter kurz vor ihrer Tat auf einem Bahnsteig in der Vorstadt Luton noch mit einem unbekannten fünften Mann zusammenstanden.
Gefahndet wurde auch nach einem ägyptischen Chemiestudenten, der aus seinem Haus in Leeds verschwunden ist. Die Polizei veröffentlichte zudem Aufnahmen den Busattentäters Hasib Hussain (18), in der Hoffnung, von Augenzeugen weitere Details zu bekommen. Ein Polizeisprecher sagte, die Ermittlungen würden noch Monate in Anspruch nehmen.
Die Fahndungserfolge nach den Terroranschlägen von London haben die Debatte um eine Ausweitung der Videoüberwachung in Deutschland angeheizt. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) forderte »den umfassenden Einsatz der Videoüberwachung auf rechtsstaatlich gesicherter Basis für öffentliche Plätze, Bahnhöfe, Flughäfen und andere wichtige Bereiche«. SPD-Innenexperte Dieter Wiefelspütz wandte sich gegen »eine flächendeckende Absicherung durch Videotechnik«.
Aus den Anschlägen von Großbritannien könne man lernen, »dass Videotechnik niemanden abschreckt«, sagte Wiefelspütz. »Aber eine Tat aufklären kann man damit schon.«
Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) befürwortete mehr Kameras an Kriminalitätsschwerpunkten. Sie seien auch geeignet, den Terrorismus zu bekämpfen, sagte Beckstein. Er betonte aber: »Wir wollen keinen flächendeckenden Einsatz, wir wollen nicht den gläsernen Bürger Orwellscher Prägung.«
Ins Zentrum der Sicherheitsdebatte rücken auch die Überwachung der muslimischen Gemeinden in Deutschland, eine längere Speicherung von Verbindungsdaten von Telefonen und die rasche Einrichtung einer Anti-Terror-Datei. Beckstein forderte, »dass wir religiöse Fanatiker noch stärker überwachen müssen«, auch durch die V-Leute der Geheimdienste. Es sei beunruhigend, dass wohl erstmals in Europa Anschläge von Selbstmordattentätern verübt worden seien.
Der Zentralrat der Muslime in Deutschland hat nichts gegen eine verschärfte, aber angemessene Überwachung von Gemeinden. »Wenn Rücksicht genommen wird und das Gemeindeleben nicht gestört wird, dann ist das in unserem Sinne«, erklärte gestern der Vorsitzende Nadeem Elyas. Aber die Erfahrung lehre die Muslime, dass bei einem Verdacht in der Regel »unpassend« vorgegangen werde.
Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft, Konrad Freiberg, wirft der Politik vor, Aktionismus zu betreiben. »Diejenigen, die modernste Überwachungstechnik verlangen, wissen gar nicht, wie sie die bezahlen sollen«, sagte Freiberg der »Leipziger Volkszeitung«.

Artikel vom 15.07.2005