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»Jetzt habe ich zwei Familien«

Saya Kanemoto aus Japan lebt ein Jahr in Reelsen - Gymnasium St. Xaver besucht

Von Anika Lübeck
Bad Driburg/Reelsen (WB). Es ist mutig, seine gewohnte Umgebung, Freunde und Familie für ein Jahr zu verlassen, um eine völlig neue Kultur kennen zu lernen. Saya Kanemoto (17) aus Japan hat diesen Schritt gewagt, als sie sich 2004 in Japan für den einjährigen Auslandsaufenthalt in Deutschland anmeldete. Morgen fliegt sie nach Hause.

»Ich war damals 16 Jahre alt und habe das erste Mal ohne Familie oder Freunde Japan für längere Zeit verlassen«, erzählt die Schülerin. Am Tag vor ihrer Abreise wurde sie richtig nervös - Saya kannte ihre neue Familie nur vom Foto und außerdem konnte sie noch kein Deutsch sprechen. »Aber als ich dann am Freitag, 3. September 2004, nach einem zwölfstündigen Flug von Tokio in Frankfurt landete und Familie Lübeck mich mit einem Lächeln erwartete, fiel mir ein Stein vom Herzen«, erinnert sich die Japanerin aus Mito bei Tokio.
Schon zu Beginn stellte sie große Unterschiede zwischen ihrem Heimatland Japan und Deutschland fest. Die größten Gegensätze zwischen den beiden Kulturen zeigten sich jedoch im schulischen Bereich. Saya besuchte ein Jahr zusammen mit Gastschwester Anika die zwölfte Klasse des Gymnasiums St. Xaver in Bad Driburg. »Im Vergleich zum japanischen Schulsystem kann jeder im deutschen Unterricht seine eigene Meinung äußern, auch wenn sie ganz anders ist als die des Lehrers«, wunderte sich Saya. »Tut man das in Japan, kann man dadurch Probleme bekommen. Deswegen fiel es mir am Anfang schwer, mich am Unterricht zu beteiligen«, erinnert sich die japanische Gastschülerin.
Als Leistungskurse belegte sie Musik und Englisch. Der Musikunterricht beeindruckte sie stark. Ihr Musiklehrer Hans-Martin Fröhling unterstützte sie sehr. »In den ersten Monaten meines Aufenthalts übersetzte er hin und wieder Teile seines Unterrichts ins Englische, so dass ich der Stunde folgen konnte. Des Weiteren ermutigte er mich immer wieder, Deutsch zu sprechen«, berichtet Saya. Als sie ihm erzählte, dass sie Geige spiele, engagierte er Saya für das Schulorchester. Auf dem Musikabend spielte die Professorentochter dann ein Geigensolo; er begleitete sie am Klavier.
Die Schule endet in Deutschland meist schon gegen zwei Uhr mittags, so dass Saya ein freier Nachmittag zur Verfügung stand. Die freie Zeit verbrachte die 17-Jährige überwiegend mit Musizieren. Neben dem Schulorchester bekam sie auch noch Geigenunterricht und spielte in einer kleinen Kirchengruppe mit. Einmal in der Woche bekam sie von einem Lehrer der Schule privat Deutschunterricht. Aber sie ist auch gerne verreist, um ihr Gastland kennen zu lernen. Saya besuchte Hamburg, Berlin, München, Leipzig und Dresden.
Einen ganz besonderen Eindruck hinterließen bei ihr die deutschen Feiertage. »Ich liebe die Art, wie die Deutschen Weihnachten feiern«, schwärmt die junge Japanerin. »Zuerst den Weihnachtsbaum aufstellen, zur Kirche gehen, gut essen und dann die vielen Geschenke! Ich fand es herrlich, dass sich in dieser Zeit die ganze Familie versammelte. Und das große Feuerwerk an Silvester wird mir immer in Erinnerung bleiben«, so die 17- Jährige, die sich bei Familie Lübeck immer wohl gefühlt hat.
Nun ist ihre Zeit in Deutschland beinahe vorbei. In Japan wird Saya noch weitere eineinhalb Jahre zur Schule gehen. Für diese Zeit hat sie sich aber fest vorgenommen, weiter Deutschunterricht zu nehmen, um ihre Grammatik zu verbessern. Sie freut sich natürlich auch auf ihre Familie und ihre Freunde. Insgesamt kann Saya auf ein Jahr voller positiver Erfahrungen zurückblicken: »In diesem Jahr habe ich sehr viel gelernt und ich glaube, dass mich das verändert hat. Eine andere Kultur kennen zu lernen ist sehr wichtig und stärkt den Charakter. Am Anfang hatte ich Angst, aber es gab viele, die mir geholfen haben und bei denen ich mich bedanken möchte. Ich hatte eine schöne Zeit!«

Artikel vom 14.07.2005