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Den Fesseln der Tradition entledigt

Zum Auftakt boten »Salia Ni Seydou« modernen afrikanischen Ausdruckstanz

Bielefeld (uj). Sie gehören zu den angesagtesten Compagnien des neuen afrikanischen Tanzes und wurden für ihre Choreografie »Weeleni, l'appel« (Der Ruf) mehrfach ausgezeichnet: Am Sonntagabend eröffneten »Salia Ni Seydou« das 16. Bielefelder Tanzfestival in der Oetkerhalle.

Die von Ulla und Tschekpo Dan Agbetou ausgewählten Performances, die das 14-tägige Festival umrahmen, befassen sich in diesem Jahr überwiegend mit modernem Tanztheater vom afrikanischen Kontinent. In den vergangenen Jahren ist eine neue Generation von Tänzern herangereift, die sich von den Fesseln der Tradition und den damit verbundenen exotischen, folkloristischen Stereotypen des afrikanischen Tanzes weitgehend befreit hat. Deren Körpersprache ist individueller geworden. Kraftvoll und athletisch, kennt sie dennoch die Poesie.
Das Stück »Weleeni, l'appel« unternimmt den Versuch, das Mysterium der Gefühle in eine Sprache zu übersetzen, die jeder versteht. Gleichwohl erfindet das Werk Ausdrucksformen, die mit nichts zu vergleichen sind und die zunächst einmal befremdlich wirken.
Zudem braucht das Auge im Halbdunkel eine Weile, bis es in den zuckenden Bewegungen der schwarzen Körper eine Kontur erkennen kann. Ohne Handlung im eigentlichen Sinne, beschwört das Tanzstück zu Gesängen, zu Trommel- und Gitarrenklängen den Geist des Körpers. Der wiederum muss erst hervorgelockt, geweckt werden.
Die Choreografie wählt dazu archaische Bewegungsmuster, die von den Tänzern in virtuosem Tempo umgesetzt werden. Getanzt wird in den ersten 15 Minuten ausschließlich mit dem Rücken zum Publikum. Es scheint, als müsse sich ein Individuum mittels Windungen, Zittern, Kriechen und Fallen erst herausformen.
Erst ein, dann zwei, dann drei Tänzer entdecken im Ausdruckstanz ihre Körper und Gefühle. Ritualisierte Bewegungssprache steht neben hoch poetischen, weich fließenden Bewegungen. Westlich orientierte, melodische Gitarrenmusik erklingt und scheint Flügel zu verleihen.
Doch lange währt die Harmonie nie. Weiche Bewegungen gehen in harte über, die von Aggression und Kämpfen sprechen.
Einigkeit hingegen stellt sich beim Klang der Trommeln ein. Hier gehorchen die Tänzer wie ferngesteuert ganz dem Rhythmus des Perkussionsapparates. Von Transzendenz, Mystik und Religion spricht das Stück, wenn sich Musiker und Tänzer vereinen und vor einer himmlischen (?) Macht verbeugen. Zum Leben, so scheint das Stück zu erzählen, gehört auch das Vergehen. Rote Blütenblätter fallen am Ende wie Bluttropfen aus den Händen eines Tänzers und beenden eine außergewöhnliche Tanzchoreografie, die befremdend und zugleich faszinierend wirkte. -ÊTosender Applaus.

Artikel vom 12.07.2005