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Dr. Elmar Wienecke.

Mehr Kick mit neuen Inhalten

Thesen von Elmar Wienecke

Von Hans Peter Tipp
Halle (WB). Ein Holzwürfel aus Halle -Êwird er zum Symbol für eine neue Trainingsarbeit im deutschen Fußball? Bis zu 30 Prozent stille Leistungsreserven im physischen Bereich warten nach Ansicht von Dr. Elmar Wienecke von der Gesellschaft für Sport und Gesundheit (Saluto) in Halle nur darauf, ausgeschöpft zu werden.

»Wenn Spieler ihre Sprungkraft um acht Zentimeter steigern, dann könnten es jene sein, die sie zum Kopfball kommen lassen«, sagt der geschäftsführende Saluto-Gesellschafter. Neue, praktische und einfach zu transportierende Hilfsmittel, wie jene Holzkisten, die im Saluto-Vortragsraum scheinbar achtlos in der Ecke stehen, könnten dabei helfen. Sie ermöglichen, weil maßangefertigt, ein exaktes Sprungkrafttraining. Die Würfel sind leicht, sie sind stapelbar, gut zu transportieren und somit an jedem Ort einsetzbar -Ê ein praktisches Beispiel für viele neue Dinge, die nach Ansicht des Sportwissenschaftlers in den Trainingsalltag aufgenommen werden müssten.
Die Ergebnisse seiner jüngsten Studie stellt Wienecke beim heute beginnenden Internationalen Trainerkongress des Bundes Deutscher Fußball-Lehrer (BDFL) den Fachkollegen vor. Knapp 1000 Teilnehmer werden in Düsseldorf erwartet, wo neben Wienecke auch Christoph Daum, Otmar Hitzfeld und der ehemalige Arminia-Coach Uwe Rapolder zum übergreifenden Thema »Aktuelle Trainingsansätze zur Umsetzung einer modernen Spielphilosophie« referieren.
Das Düsseldorfer Treffen setzt den Trainerkongress von Halle vor einem Jahr fort. Beim »Heimspiel« war Wienecke natürlich auch am Ball und referierte über »Die größte Verletzungsmisere in Europa in den letzten 30 Jahren«. Jetzt geht er wieder in die Offensive, auch weil die angeprangerte Misere nicht kleiner geworden ist. Noch immer, so Wieneckes Beobachtungen, ereigneten sich schwere Verletzungen wie Kreuzbandrisse zu 80 Prozent ohne Einwirken des Gegners. Der Wissenschaftler führt dieses in erster Linie auf eine unzureichende »Kicker-Knautschzone« zurück -ÊMuskelgruppen, die nicht so ausgebildet sind, dass sie bei extremen Belastungen die Gelenke ausreichend schützen.
Als Gegenmittel empfiehlt er dem Spitzenfußball eine veränderte Trainingsgestaltung. Wieneckes Forderung: Trainiert häufiger, trainiert länger, aber dafür individueller - vor und innerhalb der Saison. Die moderne Trainingssteuerung mache es möglich. »Laktattests stellen nur noch 20 Prozent der Möglichkeiten da«, sagt Wieneke und fordert zum Umdenken auf: »Vereine und Trainer haben die Verantwortung, im Jugendbereich gezielt Hilfestellung zu geben und nicht das nächste Spiel zu sehen.« Soll heißen: Auch während der Saison müsse individuell an Kraft, Kondition und Koordination weitergearbeitet werden. »Vier bis fünf Stunden pro Woche - mehr ist dafür nicht nötig«, sagt Wienecke und schlägt dazu drei Mal pro Woche zusätzliche individuelle Trainingseinheiten vor dem Mannschaftstraining vor.
Wienecke weiß, dass er bei seinen Kollegen dicke Bretter bohren muss. Nicht nur, um weitere Holzwürfel anfertigen zu lassen, sondern um sie zu bewegen, sich Neuem zu öffnen. Aber auch er setzt auf Geduld. Kommt Zeit, kommt Rat. Und vielleicht auch das Geld, denn das kommt in vielen Profivereinen vor der Vernunft.

Artikel vom 18.07.2005