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»Politik darf nicht reparieren«

Merkel und Stoiber stellen Programm vor - »Machen nicht den Schröder«

Von Ulrich Scharlack
Berlin (dpa). Die Kandidatin spricht konzentriert. Die Anspannung ist Angela Merkel anzumerken. Sie weiß, dass viel von dieser Vorstellung des Programms für den Verlauf des Wahlkampfs abhängt. Über Wochen hatte sie sich mit konkreten Festlegungen zu ihrem Kurs bedeckt gehalten, um »Verständnis« gebeten, dass sie vor gestern nichts sagen konnte.
Die Vorsitzenden von CDU und CSU, Angela Merkel und Edmund Stoiber, haben gestern gemeinsam das CDU/CSU-Programm für eine mögliche Bundestagswahl am 18. September vorgestellt. Foto: dpa

Und doch hatte sie mit der Ankündigung, ein »Programm mit dem Mut zur Ehrlichkeit« vorzulegen, die Erwartungen immer mehr gesteigert.
Nun spult sie, eine Stunde nachdem die Vorstände von CDU und CSU Ja zu den 38 Seiten gesagt haben, auf dem Podium in der Bundespressekonferenz schnell ihre Sätze ab. Direkt wendet Merkel sich gleich zu Beginn »persönlich« an die Bürger, »bittet um den Regierungsauftrag«. »Es geht um nicht mehr oder weniger als um eine Richtungsentscheidung«. »Politik darf nicht reparieren. Politik muss sich dem Ganzen widmen.«
Vor knapp einer Woche hatte auf ihrem Platz ihr Konkurrent, Bundeskanzler Gerhard Schröder gesessen. Ruhig hatte er gewirkt, als er die Fragen beantwortete. Der Kanzler versuchte, die sieben Jahre seiner Amtszeit als Erfolgsgeschichte darzustellen, obwohl er doch ein paar Tage zuvor gerade den Bundespräsidenten um die Auflösung des Bundestags gebeten hatte.
Merkels Präsentation des Wahlprogramms ist sechs Tage später nun auch eine Art Gegenauftritt zum Kanzler. Sie will an diesem Tag in die Offensive gehen, Tatkraft symbolisieren. Neben ihr sitzt CSU-Chef Edmund Stoiber. In seinem Eingangsstatement attackiert er: »Das Wahlprogramm von CDU und CSU zeigt: Wir machen nicht den Schröder«. Merkel sagt das zwar nicht so deutlich. Sie will sich aber auch mit jedem Wort von Schröder absetzen.
Immer wieder betont sie, wie sehr es ihr auf Ehrlichkeit ankomme. Sie wolle es eben nicht so machen wie Schröder nach der Bundestagswahl 2002, wo die rot-grüne Regierung im Eilschritt Korrekturen durchboxen musste, von denen die Bürger vorher nur wenig gehört hatten. Als sie über die Steuerreform spricht, räumt sie ein, dass es »keine Belastung, aber auch keine Entlastung geben wird«. »Mehr ist eben nicht zu machen«, sagt sie. Man wolle nichts versprechen, was man nicht halten könne.
Und dennoch werden in diesen eindreiviertel Stunden der Befragung auch die Risiken und Schwächen des Programms deutlich. Im Mittelpunkt steht die Mehrwertsteuererhöhung. Merkel geht nach sieben Minuten auch selbst auf den wunden Punkt des Wahlprogramms ein. Die Union habe es sich damit »alles andere als leicht gemacht«. Aber da eine neue Regierung die Lohnzusatzkosten zur Stimulierung des Arbeitsmarktes schnell senken müsse, habe der Schritt zur Gegenfinanzierung aufgenommen werden müssen, »um solide zu bleiben«.
Fragen nach der sozialen Ausgewogenheit der Steuererhöhung wehrt sie damit ab, dass zum Beispiel die Mehrwertsteuerfreiheit von Mietzahlungen erhalten bleibt. Schon seit Tagen hat sich im Lande eine ganz große Koalition von Mehrwertsteuer-Erhöhungsgegner gebildet, von SPD über FDP, Gewerkschaften bis hin zu den Wirtschaftsverbänden.
Merkel kann auch nicht die Frage beantworten, wie viel Milliarden die gesamten Reformmaßnahmen insgesamt kosten. Sie verweist aber darauf, dass jedes der Projekte in sich gegenfinanziert sei.
Die Kandidatin wird das Programm nicht zum letzten Mal verteidigt haben. Am Morgen hatte bereits Greenpeace vor dem Tagungsort der Vorstände gegen die neue Atompolitik der Union unter dem Motto »kein Rückfall ins Atomzeitalter« protestiert. Das war vielleicht nur ein Vorgeschmack auf einen harten Wahlkampf.
Und auch aus den Reihen der rot-grünen Koalition fiel die Kritik heftig aus. Dort wurde das Wahlprogramm der Union als unehrlich, unfinanzierbar und konzeptlos bezeichnet. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD): »Unter Frau Merkel wird alles teurer und nichts besser.« Dies sehe man etwa an der geplanten Mehrwertsteuer-Erhöhung. »Das trifft insbesondere Familien mit Kindern.« Zudem sei das Programm der Union, nicht zu finanzieren.
Auch die Grünen warfen der Union vor, an vielen Stellen wie der Kopfpauschale im Gesundheitswesen und dem Kombi-Lohn mit ungedeckten Schecks zu arbeiten.
Die Gewerkschaften sprachen angesichts des geplanten Abbaus beim Kündigungsschutz von einem Angriff auf Arbeitnehmerrechte. Dagegen erklärte die Industrieverband BDI, die Union weise mit ihrem Programm in die richtige Richtung.
Nach der teils massiven Kritik der FDP an den Steuerplänen der Union zeigten sich die Vorsitzenden von CDU und CSU zuversichtlich, den möglichen Koalitionspartner noch überzeugen zu können. Edmund Stoiber (CSU) hielt den Freidemokraten gestern im ZDF-»heute journal« vor, ihr Steuerkonzept sei »in keiner Weise solide berechnet«. Zu den FDP-Forderungen nach Einsparungen statt Steuererhöhungen sagte er: »Wenn man meint, man könne alleine durch Einsparungen 15 bis 17 Milliarden Euro aus dem Steuertopf herausnehmen«, werde dies »sehr schnell der Realität nicht standhalten«, wenn man selbst an der Regierung sei.

Artikel vom 12.07.2005