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Verzweifelte Suche mit Foto-Plakaten: Mehr als 30 Menschen werden noch vermisst.

Das Leben geht weiter:
London übt den Alltag

Britische Hauptstadt zwischen Trotz und Angst

London (dpa). Der Londoner Bürgermeister Ken Livingstone machte es den Einwohnern seiner Stadt vor und nahm am Morgen demonstrativ die U-Bahn zum Büro. Als er in die »Tube« zum Rathaus stieg, sagte er trotzig: »Wir gehen zur Arbeit, das Leben geht weiter.«

Am ersten Montag nach den Bombenanschlägen versuchen es die Londoner mit »Business as usual«, dem normalen Alltag. Millionen Pendler, Arbeiter und Angestellte fuhren vier Tage nach den Terrorattentaten wieder mit dem Zug, der Untergrundbahn oder dem Bus in die Büros, Geschäfte und Fabriken. Viele aber saßen mit einem mulmigen Gefühl in den Waggons.
»Ich bin die ganze Zeit nervös. Aber du kannst doch nicht zulassen, dass es dein normales Leben stoppt«, sagt die 34-jährige Krankenhausangestellte Trisha Webbe. Auf dem Weg zur Arbeit kommt sie am Tavistock Square vorbei, wo ein Attentäter einen Doppeldeckerbus in die Luft gesprengt und damit 13 Menschen in den Tod gerissen hatte. Auch Janice Rose fühlt sich an diesem Montag an der U-Bahn-Station King's Cross »furchtbar«: »Jeder in meiner Nähe im Zug oder im Bus ist für mich ein Verdächtiger.«
Doch in der Millionenmetropole muss und soll alles weitergehen wie vorher. »Wir bestärken jeden darin, wieder zur Arbeit und zurück in die Hauptstadt zu fahren«, sagt Andy Trotter von der britischen Bahnpolizei. »Dadurch, dass man nicht zur Arbeit geht und seinen Geschäften in London nicht nachgeht, gewinnen sie, aber sie werden nicht gewinnen«, sagte er mit Blick auf die Attentäter.
Auf der Mehrzahl aller Bus- und U-Bahnlinien lief der Verkehr fast wieder normal. Verspätungen gab es auf Grund herrenloser Tüten oder Taschen aber trotzdem. »Obwohl wir die Fahrgäste ständig über Lautsprecher bitten, keine Dinge einfach stehen oder liegen zu lassen, passiert es dennoch. Das ist nicht nur leichtsinnig, sondern unverantwortlich«, kritisierte ein Sprecher der U-Bahngesellschaft London Underground.
Auf den Bahnsteigen und in den Waggons patrouillierten zu Beginn der ersten Arbeitswoche nach den Attentaten auffallend mehr Polizisten in kugelsicheren Westen als normalerweise. Über die Radiostationen der Hauptstadt wurden die Menschen außerdem aufgefordert, besonders wachsam zu sein.
In diesem Sinn äußerte sich auch Bürgermeister Livingstone am Morgen beim Einsteigen in die U-Bahn: »Wir lassen nicht zu, dass eine kleine Gruppe Terroristen unser Leben verändert.« Aber gefragt, ob dies denn nun für ihn ein ganz normaler Arbeitstag sei, lautete die schlichte Antwort: »Nicht normal.«
Der britische Premierminister Tony Blair hat gestern erstmals vor dem Parlament zu den Terroranschlägen in London Stellung genommen. »Mit Abscheu stehen wir vor diesem mörderischen Massaker unter Unschuldigen«, sagte er. »Terroristen können töten, aber sie werden niemals unsere Werte zerstören«, sagte Blair. Das Verbrechen werde den Lebensstil der Briten und ihre ausgeprägte Toleranz nicht erschüttern. Er dankte für die Sympathiebekundungen aus anderen Ländern.

Artikel vom 12.07.2005