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Inlandseinsätze im Notfall zulassen

Jürgen Herrmann (CDU): Deutschland fehlt nationale Sicherheitsbehörde

Bielefeld (WB). Deutschland braucht eine Nationale Sicherheitsbehörde. Das forderte gestern Jürgen Herrmann aus Brakel im Kreis Höxter. Mit dem verteidigungspolitischen Berichterstatter der CDU im Bundestag sprach Reinhard Brockmann.Jürgen Herrmann, Sicherheitsexperte im Verteidigungsausschuss.

Was bedeuten die Terroranschläge in London für uns?Herrmann: Die Bundeswehr muss neben den ursprünglichen Aufgaben der Landesverteidigung übergreifend tätig werden können. Dies gilt dann, wenn Polizei, Bundespolizei oder Hilfsdienste es nicht mehr schaffen, eine entstandene Lage zu bewältigen.

In London sind innerhalb einer Stunde Soldaten eingerückt. In Deutschland unmöglich?Herrmann: Der Einsatz der Bundeswehr ist an enge verfassungsrechtliche Vorgaben geknüpft. Ihr Einsatz im Inland wäre somit nach herrschender Meinung, wie im Fall der Anschläge von London nicht zulässig. Jedoch bleibt zu berücksichtigen, dass die rot-grüne Bundesregierung das neue Luftsicherheitsgesetz gegen die Stimmen der Union in diesem Kontext verabschiedet hat. Bei einem Bedrohungsszenario eines durch Terroristen gekaperten Flugzeugs geht die Regierung von einem Unglücksfall - ich wiederhole: Unglücksfall - aus, bei dem die Bundeswehr eingesetzt werden darf. Ich plädiere dafür, klare, Rechtsgrundlagen zu schaffen und den Einsatz der Bundeswehr im Inland bei entsprechenden Szenarien zu erlauben.

Grundgesetzänderungen sind eine sehr hohe Hürde.Herrmann: Dass sich die gesetzlichen Grundlagen den Gegebenheiten anzupassen haben, zeigt die Änderung nach der Hochwasserkatastrophe in Hamburg in den 60er Jahren. Damals wurde die Bundeswehr ohne Rechtsgrundlage eingesetzt.

Neue Gefahren verlangen nach neuen Antworten?Herrmann: Die immer wieder diskutierte asymmetrische Bedrohung erfordert ein verteidigungs- und sicherheitspolitisches Gesamtkonzept. Gemeinsam mit meinem Kollegen Ulrich Adam habe ich im April ein Strategiepapier vorgestellt, das konkrete Aussagen hierzu macht und Lösungen aufzeigt. Insbesondere werden organisatorische Probleme angesprochen, die aufzeigen, dass es in der Bundesrepublik kein schlüssiges Gesamtkonzept gibt.
Wo hapert's beim Katastrophenschutz?Herrmann: Die vielen unterschiedlichen Zuständigkeiten auf Bundes- und Landesebene tragen dazu bei, dass es immer wieder zu Reibungsverlusten bei der Entscheidungsfindung kommt. Informationen gehen verloren oder erreichen nicht die zuständige Stelle. Daher fordere ich die Einrichtung einer Nationalen Sicherheitsbehörde (NSB) bei der alle wichtigen Informationen zusammenlaufen und operativ umgesetzt werden. Für den übergeordneten politischen Bereich muss ein Nationaler Sicherheitsrat eingerichtet werden.

Sie rütteln gleich reihenweise an Tabus.Herrmann: Ich bin davon überzeugt, dass unsere Demokratie so gefestigt ist, dass Polizei, Bundeswehr, Verfassungsschutz und Geheimdienste viel enger zusammen arbeiten müssen. Das strikte Trennungsverbot ist aufzuheben! Zudem sind Parallelstrukturen wie beim ABC-Schutz aus Effektivitätsgründen, aber auch aus finanzieller Sicht zu zerschlagen.

Was muss geschehen?Herrmann: Im Hinblick auf aktuelle Bedrohungsszenarien und Großveranstaltungen wie die WM 2006 muss dringend etwas getan werden. Die Bundesregierung hat sich geweigert ein Weißbuch vorzulegen, welches ein schlüssiges Konzept der Sicherheitspolitik vorgibt. Fragen nach technischer Ausstattung der Sicherheitsbehörden, wie z.B. des Digitalfunk, sind bis heute nicht beantwortet. Sicherheit darf sich nicht an finanziellen Engpässen, sondern muss sich organisatorisch und materiell an den tatsächlichen Gegebenheiten, das heißt der aktuellen Bedrohungslage, orientieren.

Artikel vom 08.07.2005