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Es war ein Spiel auf Zeit und beileibe kein trickreicher Wettkampf zwischen Hase und Igel: Staatsanwalt Joachim Stollberg hat mit der ihm eigenen Hartnäckigkeit einen flüchtigen Deutschrussen ausgerechnet in einem der fernsten russischen Winkel aufgesprüt - in der sibirischen Millionenstadt Irkutsk.
Tatort Ostwestfalen: Im August 2004 wurde eine Bande von Zigarettenschmugglern hochgenommen, die von dem Bielefelder Wladimir F. (27) geleitet wurde. Rußlanddeutsche und Griechen hatten sich zusammengetan, um Tabakwaren durch Deutschland nach Großbritannien zu schmuggeln. Einen Steuerschaden in Höhe von vier Millionen Euro meinte Stollberg dem Mann und seinen Komplizen nachweisen zu können. Der gebürtige Russe mit deutschem Pass kam in Haft, saß im geschlossenen Vollzug in Bielefeld-Brackwede ein und sann wohl Tag und Nacht nur über Flucht nach. Im Oktober 2004 brachte sich F. Verletzungen an der Hand bei und musste in den Krankenanstalten Rosenhöhe behandelt werden. Dort überwältigte er zwei Justizbeamte und floh.
Diese Niederlage ließ Stollberg nicht ruhen, er nahm trotz der Skepsis seiner Kollegen (»Die haben mir alle gesagt: ÝDen kriegst du nie!Ü«) die Verfolgung auf. Gezielte Überwachung der engsten Umgebung des Schmugglers führte dann zum ersten Erfolg der Ermittlungen: Wladimir F. hielt sich offensichtlich in Irkutsk auf. Die Millionenstadt liegt am Baikalsee in Sibirien, ist 9000 Kilometer von Bielefeld entfernt.
Damit jedoch begann erst die eigentliche Puzzlearbeit zur Festnahme des Mannes, denn die Ermittlungen in zwei verschiedenen Staaten werden zwar rein bürokratisch von einem Rechtshilfeabkommen zur Zusammenarbeit grundsätzlich geregelt, doch sind intime Kenntnisse der Verhältnisse im Partnerland - besonders im Verhältnis zu Rußland - unabdingbar für ein Gelingen der Ermittlungen.
Das Pech des Wladimir F. ist das Plus des Staatsanwalts: Joachim Stollberg spricht ausgezeichnet und fließend Russisch. Seit seinem 14. Lebensjahr hat der gebürtige Schleswig-Holsteiner Sprachkurse belegt, hat in den vergangenen Jahren Sprachreisen nach St. Petersburg und Kazan absolviert: »Ich habe mir davon Impulse für die Zukunft erhofft«, verhehlt der 46-jährige Jurist seine Erwartungen nicht. Schon bei der Bearbeitung sogenannter beschleunigter Verfahren - die häufig mit illegalen russischen Einwanderern zu tun hatten - kamen ihm die Sprachkenntnisse zu Gute. Nicht selten überraschte Stollberg auch schon Dolmetscher, die mit dem Eindeutschen von Aussagen ihre liebe Mühe hatten.
In Moskau geriet Joachim Stollberg an die Oberstaatsanwältin Valentina Nikita von der Generalstaatsanwaltschaft der Russischen Förderation, die über die Russischkenntnisse ihres deutschen Kollegen sehr erfreut war. Stollberg lobt sie wie auch die russsiche Polizei in Irkutsk in höchsten Tönen: »Die Zusammenarbeit war einfach nur klasse.« Nach wenigen Tagen war Wladimir F. in seinem Unterschlupf festgesetzt; Rußland ist immerhin Mitglied von Interpol. Über das Bundeskriminalamt lief ein Fahndungsersuchen, die Russen konterten Stunden später mit der Bitte um einen auf russisch abgefassten Haftbefehl. Joachim Stollberg lieferte den Antrag postwendend, und am folgenden Tag, am 9. Dezember 2004, saß der Zigarettenschmuggler Wladimir F. in seinem ehemaligen Heimatland in Irkutsk im Gefängnis. Erst dann setzten sich die Mühlen der Auslieferungsmaschinerie in Bewegung. Während die Ergreifung mit Hilfe der russischen Polizei nur sieben Wochen in Anspruch nahm, dauerte die Auslieferung ein halbes Jahr lang bis zum 28. Juni. Dann saß F. vor dem Bielefelder Haftrichter und forderte frech: »Ich will, dass dieser Staatsanwalt abgelöst wird.«
Joachim Stollberg glaubt, dass nur »die Nachhaltigkeit und Hartnäckigkeit siegen. Auch die Russen haben sich die grenzüberschreitende Bekämpfung der Kriminalität zum Ziel gesetzt. Sie haben die Rechtsstaatlichkeit als ein oberstes Gebot.« Exemplarisch zeige die Vorgehensweise in dem Fall doch auf, »wie motiviert die Ermittlungsbehörden in Rußland sind«. Für den Bielefelder Staatsanwalt ist die Bekämpfung von Kriminalität zwar eine »nie endende Herausforderung«, neue Formen mafiöser Strukturen erforderten indes auch »grenzüberschreitende Zusammenarbeit« der Behörden.
Seine außergewöhnlichen Kenntnisse der russischen Mentalität legt Joachim Stollberg bewusst als schweres Pfund in die Waagschale: »Der Russe ist mir bekannt, und ich weiß, wie mit ihm umzugehen ist.« Stollbergs zwei Erfolgsrezepte: »Man muss den richtigen Weg einschlagen; man muss kurz und präzise sagen, was man will.« Im übrigen seien die Behörden auch in Rußland »so überarbeitet wie wir auch«. Und: Der Bielefelder Staatsanwalt hat aus einigen Aufenthalten in der Russischen Förderation ein »tiefes Verständnis für die Seele und den Glauben der Russen« gewonnen. Joachim Stollberg: »Die russische Literatur, die Musik und die Schwermütigkeit der Menschen haben mich schon immer fasziniert.« Nicht zuletzt die »unerschöpfliche Fähigkeit zu leiden« habe doch für einige westliche Feldherren in deren Waterloo oder Stalingrad gegipfelt.
Letztlich fühlt auch Joachim Stollberg wie dieses seelenverwandte Volk einen unabänderlichen Fatalismus: Manche Dinge sind einfach nur schicksalsergeben hinzunehmen. Der Staatsanwalt jedoch hält für seine tägliche Arbeit einen Grundsatz für unentbehrlich: »Inkonsequenz ist mir ein Greuel. Was man beginnt, das führt man auch zu Ende.«
Für den Deutschrussen Wladimir F. bedeutet das nach seiner neuerlichen Inhaftierung: Joachim Stollberg hat ihn jetzt schon unter Anklage gestellt.

Artikel vom 09.07.2005