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Der alte Wolf zeigt Zähne:
Jens Voigt zerreißt sich für Gelb

Deutsche Fahrer bestimmen das Wochenende und attackieren Armstrong

Mulhouse (dpa). Eine grandiose Energieleistung hat dem Berliner Jens Voigt zum zweiten Mal nach 2001 das Gelbe Trikot gebracht, das muntere T-Mobile-Team vertrieb die aufkommende Langeweile: Deutsche Radprofis bestimmten am zweiten Wochenende der 92. Tour de France die Szenerie. Auf der 9. Etappe von Gerardmer nach Mulhouse über 171 Kilometer und sechs Bergwertungen schlug die Stunde des Berliner Profis Voigt, der für das dänische CSC-Team fährt. Gelb steht ihm gut: Jens Voigt streift das Trikot des Tour-Spitzenreiters über. Das gelang dem Berliner zum zweiten Mal in seiner Karriere. Zum Genießen bleibt sogar etwas Zeit. Heute legt die Tour einen Ruhetag ein.Andreas Klöden blies zum Angriff auf Lance Armstrong.
Der 33-Jährige rettete mit dem Franzosen Christophe Moreau 2:57 Minuten vor dem Hauptfeld mit Lance Armstrong ins Ziel und zwang den Rekordsieger aus Texas zum Trikot-Wechsel. Der Amerikaner liegt als Dritter nun 2:18 Minuten hinter Voigt, der sich als erster Deutscher seit Erik Zabel 2002 wieder Gelb überstreifte.
Den Etappensieg feierte der Träger des Bergtrikots, Mickael Rasmussen (Dänemark), der eine Solofahrt über 167 Kilometer erfolgreich abschloss. Voigt und Moreau rollten 3:04 Minuten hinter ihm ins Ziel. Nach einem Defekt 20 Kilometer vor dem Ziel hatte sein früherer Team-Kollege bei Crédit Agricole auf Voigt gewartet. Für Moreaus Fairness bedankte sich Voigt ausdrücklich. Der Trikot-Verlust tat Armstrong indes vor dem Ruhetag nicht weh. Nach der ersten Alpen-Etappe morgen hinauf nach Courchevel wird wieder neu gerechnet.
»Heute musste man früh wegfahren - Jens hat alles richtig gemacht. Wir genießen morgen den Ruhetag in Gelb, danach sehen wir weiter. Wir haben andere Ambitionen als vier Fahrer in den Top Ten. Wir wollen mit Basso in Paris aufs Podium«, sagte Voigts Teamchef Bjarne Riis.
Auf der Steigung zum Col des Feignes in den Vogesen konnte sich der mit acht Saisonerfolgen erfolgreichste deutsche Radprofi absetzen. »Der alte Wolf hat doch noch Zähne. Es hatte ja schon geheißen: Der Voigt attackiert gar nicht mehr«, freute sich der vierfache Vater. Sein erstes Tour-Hoch hatte er 2001 erreicht, als er die Etappe in Serran gewann und in Colmar das Gelbe Trikot für einen Tag überziehen konnte.
T-Mobile hatte die Frankreich-Rundfahrt am Samstag wieder interessant gemacht. Zum ersten Mal ging die angekündigte Dreier- Taktik auf. Auf dem eigentlich harmlosen Anstieg zum Col de la Schlucht hatte zuerst Alexander Winokurow attackiert und Armstrong reagierte. Dann folgte der Antritt von Andreas Klöden, den der Titelverteidiger - inzwischen ohne Begleiter unterwegs - unbeantwortet ließ. Der Vorjahres-Zweite Klöden kam zusammen mit Tagessieger Peter Weening 27 Sekunden vor Armstrong ins Ziel.
In dessen Windschatten hatte Jan Ullrich alles unter Kontrolle. Eine Schrecksekunde für ihn gab es aber gestern, als er bei der Abfahrt vom Col de Grosse Pierre stürzte. Eine Windböe hatte ihn in den Straßengraben geblasen. »Ich habe mich drei Mal überschlagen«, berichtete Ullrich, der Prellungen erlitt und am Ruhetag geröntgt werden soll. »Ich glaube, es sind keine Rippenbrüche, aber wir müssen sicher gehen«, sagte Teamarzt Lothar Heinrich. Jan Ullrichs Helm war beim Aufprall in drei Teile zersplittert.
Die Freude über den gelungenen Schachzug am Tag zuvor überwog aber auch bei ihm. »Es ist gelaufen, wie wir das wollten«, freute sich Teamchef Mario Kummer nach der Meisterleistung am Col de la Schlucht, die Armstrongs Thron etwas ins Wanken gebracht hatte. Armstrong war über das plötzliche Verschwinden seiner Helfer im irrsinnigen Tempo den Berg hinauf stocksauer. Nach der Etappe kündigte er ernste Worte abends im Hotel an. Offensichtlich wurde die Standpauke gehört: Gestern bestimmte das Discovery-Team das Geschehen auf der knapp zehn Kilometer langen Schlusssteigung 56 Kilometer vor dem Ziel wieder souverän und behielt alle Favoriten im Auge.
Sportseite 2: Tolle Tour-Stimmung in Pforzheim

Artikel vom 11.07.2005