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Eine Formel veränderte
für jeden die Welt

Physiker der Universität würdigen Albert Einstein

Bielefeld (sas). Seine berühmte Formel E = mc2 kennt fast jeder, und sei das Interesse an Physik auch noch so gering: Albert Einstein gilt als erster Popstar des massenmedialen Zeitalters. 50 Jahre nach seinem Tod und genau 100 Jahre nach Einsteins »Wunderjahr« mit fünf epochalen Veröffentlichungen ist der wohl berühmteste Physiker erneut in aller Munde. Auch die Uni Bielefeld widmet sich dem gebürtigen Ulmer.

Die Professoren Friederike Schmid und Reinhart Koegerler von der Physik-Fakultät der Universität haben eine öffentliche Vortragsreihe über den einstigen Technischen Experten III. Klasse am Schweizer Patentamt in Bern, um den sich später die Hochschulen rissen, organisiert. Der letzte Vortrag vor der Sommerpause (am Montag, 11. Juli, 18 Uhr, in Hörsaal 6) befasst sich mit Einstein und Deutschland: »Ich bin eine stinkende Blume, und sie stecken mich doch immer wieder ins Knopfloch.«
»Einstein hat eine radikale Änderung unserer grundlegenden Konzepte von Raum und Zeit und von den Teilchen bewirkt«, sagt Koegerler. Und seine Entdeckungen hatten durchaus drastische Anwendungskonsequenzen: von der Kernkraft und der Atombombe bis hin zu Satellitentechnik, Global Positioning System (GPS), Laser und CD-Player. Einsteins Dissertation über die Moleküldimension gehört nicht nur zu den am häufigsten zitierten Arbeiten in der Physik und Chemie, sie findet Anwendung in der Ökologie ebenso wie in der Molkereikunde; und seine Theorie der Brown'schen Molekularbewegung (ausgehend von den chaotischen Zitterbewegungen von Pollen in Wasser) begründete die statistische Behandlung von Schwankungsphänomenen mit mathematischen Methoden; der Finanzmathematik dient sie zur Beschreibung von Börsenkurven. »Insofern geht das, was er gedacht und entdeckt hat, jeden etwas an: die Verkäuferin ebenso wie den Journalisten und den Physiker«, sagt Koegerler.
Einstein habe die Welt gelehrt, »dass Energie eine konvertible Währung ist und in jeder Form auftreten kann - selbst in Form der ruhenden Materie - und dass Raum und Zeit variabel sind«, erklärt Koegerler. »Wir gehen von einer unbestechlichen Uhr aus, die überall und für jeden gleich tickt. Aber das stimmt nicht. In einem bewegten Bezugssystem vergeht die Zeit langsamer.« Leicht zu messen ist das an Elementarteilchen, die fast bis zur Lichtgeschwindigkeit zu beschleunigen sind: Ruhende Teilchen zerfallen in Minuten, bewegte in Stunden oder Tagen.
Was Wissenschaftler später experimentell nachwiesen, hat Einstein einfach nur gedacht: »Seine Ideen waren reine Gedankenexperimente«, sagt Koegerler, der den Mut und die Kühnheit des theoretischen Ansatzes bewundert. »Und bis heute sind Einsteins Leistungen nicht ganz ausgeschöpft.«
Die Kühnheit und Radikalität des Denkens spiegelte sich auch in anderen Lebensbereichen: »Das Wichtigste für ihn war seine intellektuelle Freiheit und die Freiheit von Konventionen - das galt für wissenschaftliche Paradigmen ebenso wie für sein Familienleben.« Für Koegerler war Einstein der Prototyp des Wissenschaftlers: »Mit seinen Entdeckungen nahmen die Fragen zu. Dinge, die vorher nicht befragbar waren, wurden hinterfragbar.« Dabei war sich Einstein darüber im Klaren, dass er seine Zeitgenossen zum Teil überforderte: »Ich habe auch wieder etwas verbrochen in der Gravitationstheorie, was mich ein wenig in Gefahr setzt, in einem Tollhaus interniert zu werden«, schrieb er an einen Freund. Mit dieser Arbeit aber begründete er die moderne Kosmologie.
Einstein, meint Koegerler, lehre jedermann vor allem eines: »Dass wir geistige Wesen sind und des Denkens kein Ende ist.«

Artikel vom 08.07.2005