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50 Jahre Schulpraxis - von der Pike auf

Heute im Gespräch: die neue nordrhein-westfälische Schulministerin Barbara Sommer (CDU)

Bielefeld (WB). Sie ist Mutter von fünf Kindern, seit 50 Jahren hat sie mit Schule zu tun und ist jetzt ganz oben angekommen: Noch weiß die 55-jährige Bielefelderin Barbara Sommer nicht so recht, ob das Amt als Schulministerin ein Traumjob wird. Ein Interview von Reinhard Brockmann

Sie waren in den 70ern Grund- und Hauptschullehrerin in Bielefeld, in den 80ern Schulleiterin, in den 90ern Schulrätin: Nach soviel Praxis jetzt ein Traumjob?Sommer: Ich weiß noch nicht ob es ein Traumjob ist, aber ich habe überhaupt nicht gezögert, als ich gefragt wurde.

Womöglich sitzt in der Kultusministerkonferenz nicht ein einziger Minister mit mehr Schulpraxis? Sommer: Ich kenne noch nicht alle, aber das könnte zutreffen. Ich habe immerhin 50 Jahre Schulerfahrung.

Politiker machen Parteikarriere und nennen das Ochsentour. Sie haben die Praxistour gemacht: Welcher Weg ist der bessere? Sommer: Das wird sich noch zeigen. Ich muss jetzt sehen, dass ich das Vertrauen der Partei bekomme. Für die Politik bin ich noch ein unbeschriebenes Blatt. Da hat es jemand leichter, der immer schon da war. Aber ich denke, meine Chance ist der neue Einstieg. Das heißt nicht, dass ich keine Rücksicht zu nehmen hätte. Aber ich habe keine Vorurteile. Das habe ich auch meinen Mitarbeitern im Ministerium gesagt, das 39 Jahre unter anderen Vorzeichen gearbeitet hat.

In der Politik sind neben dem praktischen Können auch Kungeln, Kompromiss und Kommunizieren gefragt. Sommer: In meinen Beruf und in vielen Jahren Schulaufsicht habe ich gelernt, mit Menschen umzugehen. Ich mache das vorbehaltlos. Für mich wird es einfacher sein, über Inhalte zu sprechen, weil ich vieles im Schulleben schon gesehen und erlebt habe.

1968 Abitur und Pädagogik-Studium: Ganz klar, Sie sind eine 68erin! Sommer (lacht): Ich habe in Saarbrücken studiert. Zu jener Zeit war das Saarland noch absolut, aber wirklich absolut konservativ.

Die damals beklagte Bildungskatastrophe und Bildungsferne müssen sich die 68er eine Generation später vorwerfen lassen Sommer: Wir dürfen nicht an PISA verzweifeln. Man kann Statistiken lesen und sein Leid beklagen, aber da sollen wir nicht stehen bleiben. In der nächsten Woche wird schon die Ergänzung »PISA E« vorgestellt. Ich bin gespannt darauf und würde mich freuen, wenn die Ergebnisse vielleicht besser ausfallen. Das hat nichts damit zu tun, dass mögliche Erfolge dann noch von der Vorgängerregierung erzielt worden wären. Es geht um das Wohl der Kinder.

Auf welche Maßnahmen kommt es jetzt an? Sommer: Wir müssen reagieren. Das tun wir mit neuen Lehrern. Und zwar sofort, obwohl überall die Kassen leer sind. Wenn es eine Steigerung von leer gäbe, dann wäre dieses Wort jetzt angebracht. Für Bildung wird dennoch viel getan, dafür muss an anderen Stellen gespart werden. Unsere Unterstützung wird nicht nach dem Gießkannenprinzip erfolgen, sondern zielgerichtet Schulen zugute kommen.

Es wird nicht ohne harte Entscheidungen gehen. Sind Sie darauf eingestellt? Sommer: Ich hoffe schon, denn es geht nicht anders. Wer keinen Dampf verträgt, sollte nicht in die Küche gehen. Außerdem steht die Ministerin nicht allein. Wir sind ein Team. Wenn wir etwas durchstehen müssen, dann tragen wir das zusammen. Das ist ein Führungsstil, den ich aus meinem bisherigen Beruf auch kenne, und den werde ich fortsetzen.

Waren Sie eine strenge Lehrerin - oder nur eine strenge Mutter? Sommer: Erst einmal war ich lange Jahre nur Lehrerin und hatte auch gar keine Kinder geplant. Das kam dann ganz anders. Das Muttersein hat mich als Lehrerin sehr verändert. Als berufstätige Frau habe ich dann bemerkt, dass Unzulänglichkeiten auch bei mir liegen. Man verspricht zum Beispiel, dem Kind Milchgeld mitzugeben und vergisst es dann doch. Ich bin sehr viel nachsichtiger geworden, weil ich wusste, wie es Zuhause zugehen kann.

Ist in den Schulen des Landes ausreichend Leistung gefordert worden? Sommer: Leistung ist nichts Negatives. Im Gegenteil: Leistung kann Spaß machen. Die Motivation bei den Kindern ist da. Man muss nur aufpassen, dass man sie nicht zerstört, sondern fördert. Eine wichtige Aufgabe für Lehrer ist es, zu erkennen, welche Potenziale in den Kindern stecken.

Welchen Stellenwert hat für Sie die christliche Orientierung in der Politik und in der Schule speziell? Sommer: Die Werteorientierung muss wieder kommen. Wenn wir die Grundfragen menschlichen Daseins wieder deutlicher ansprechen, werden das viele als erlösend empfinden. Ich glaube auch, dass die Menschen darauf warten.

Artikel vom 07.07.2005