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Ich möchte nur, dass zwischen dem Wasserbauamt und der Halligbevölkerung alles ehrlich ausgesprochen ist.«
»Das wissen wir zu schätzen. Ich glaube, wir können jetzt abstimmen. Alle Anwesenden sind stimmberechtigt. Und alle Stimmberechtigten sind hier. Wer für den Deichschutz ist, hebe die Hand.«
Wirks Großvater fehlte. Offenbar besaß er als Fischer keinen Anteil an den Fennen. Aber ob er den Deichbau befürwortet hätte, war zwischen ihm und Hansen ohnehin offen geblieben. Hingegen sah Hansen erstmals den Alten mit dem krummen Rücken.
»Ich glaube, ich kann aufhören. Alle Leute mit Verstand sind dafür«, stellte Ipsen fest, der auf den Zehenspitzen wippte und zählte. Er brachte Hansen wieder in die Wirklichkeit der Versammlung zurück.
»Außer mir! Und ich spreche auch für andere.« Tete stemmte sich langsam in die Höhe, den Blick starr auf Ipsen gerichtet.
»Ich habe selbstverständlich geglaubt, dass du dafür bist, Tete«, bemerkte Mumme freundlich. »Deine Hand habe ich gar nicht gesehen, du sitzt in einer Rauchwolke.«
»Für wen sprichst du denn, Tete?«, fragte eine Stimme von hinten, die Hansen als die des Wirts erkannte. »Wie Mumme schon sagte, sind alle da, die Anteil an den Fennen haben.«
Der Ratmann der Nordmarscher drehte sich um und starrte ihn durch die Rauchschwade ungläubig an. »Aber Lorns und du, ihr habt doch versprochen É«
»Die Dinge ändern sich gelegentlich«, warf Rouwert hitzig ein. »Ich für meinen Teil habe begriffen, dass du uns schon mehrmals schlecht beraten hast. Oder einfach im Unrecht warst. Wenn ausgerechnet ein Ratmann meine Frischwasserquellen zuschütten würde, um nur mal ein Beispiel zu nennen, würde ich im Leben nicht mehr für ihn stimmen.«
Hände klatschten auf die Pulte. Hansen suchte verstohlen Jorkes Blick, die ihm unbekümmert ein strahlendes Lächeln schenkte. Er verstand sie. Es war eine kleine nachträgliche Entschädigung dafür, dass sie bei der Auseinandersetzung wegen der Quelle zunächst den Kürzeren gezogen hatte. Endlich gab ihr einer der angesehensten Bürger in aller Öffentlichkeit Recht.
»Ich bin euer Ratmann«, sagte Friedrichsen eigensinnig. »Ihr habt mich dazu gemacht É«
»Dann wird es Zeit, dich abzusetzen, Tete, und jemand anderen zu bestimmen. Du hast das Vertrauen der meisten verloren«, befand Rouwert.
Die Handknöchel der Nordmarscher klopften fordernd.
»Das Vertrauen aller verloren«, verbesserte der Wirt. »Die Wahl unseres neuen Ratmanns regeln wir später unter uns. Mumme, mach weiter.«
»Ja. Damit ist es beschlossene Sache, dass wir einen Streifen Halligland für den Steindeich abtreten werden, Herr Bauinspektor.« Mumme Ipsen, der diesen Schluss unter den Streitigkeiten betont feierlich zog, kam zu Hansen, um ihm die Hand zu schütteln.
Hansen bedankte sich verdutzt und begriff erst nach einer Weile, dass sie jetzt ohne Wenn und Aber das Ufer befestigen konnten. Die Hallig war gerettet.
Die Ersten standen schon auf, als Lorns Friedrichsen die Hand in die Höhe streckte. Da er als schweigsam bekannt war, ebbte der anschwellende Lärm von Zwiegesprächen ab, und die Männer setzten sich verwundert wieder.
»Ähm«, räusperte sich Lorns und sah sich verlegen um. »Ich habe mir überlegt, dass ein Leuchtturm auf Nordmarsch ein nützliches Ding sein könnte. Die Badegäste sind doch hinter so etwas her wie der Teufel hinter der Seele meines lieben Vetters É«
Befreites Gelächter unterbrach seine Worte, aus deren Klang hervorging, dass er sie als gutmütigen Spaß gemeint hatte. Selbst Tete grinste widerwillig.
»É die er aber nicht kriegen wird«, fuhr Lorns fort. »Im Gegensatz zu uns. Auf Amrum erzählen sie, dass die Badeleute als Erstes immer den Leuchtturm sehen wollen. Wenn wir unseren eigenen haben, brauchen die Gäste sich gar nicht mehr nach Amrum zu bemühen. Sie kommen gleich zu uns. Auf der Hallig ist es doch viel schöner. Ich verkaufe meine alte Warf an das Wasserbauamt, wenn der Herr Bauinspektor sie noch haben will.« Der Sitz krachte unter ihm, als er sich fallen ließ, offenbar selbst erstaunt über seinen langen Monolog.
Sönke Hansen schlängelte sich zwischen den Pulten durch und bot ihm wortlos die Hand.
Dieses Mal klatschten die Halligleute in die Hände und trampelten auf den Boden, und die Fenster, die den Schulraum von der Kirche trennten, klirrten vom Lärm. Mumme Ipsen nickte Hansen lächelnd zu, und dieser wusste, dass das Abkommen mit dem Wasserbauamt damit geschlossen war.
Die Versammlung war beendet, sobald die Beschlüsse gefallen waren, und die Halligleute drängten aus dem Schulraum. Jorke aber, die unversehens neben Hansen stand, überraschte ihn wieder einmal. »Ich hoffe, du kommst oft wieder, um das Bauen zu überwachen«, sagte sie vernehmlich. »Bis dahin wirst du deine Verlobte bestimmt wieder gefunden haben. Ich werde ganz fest an euch denken.«
Als Sönke Hansen zu Hause in Husum ankam, fiel ihm als Erstes der Hut auf, der am Garderobenpflock im Flur hing. Wartete ein Gast auf ihn?
Angesichts der stolzen Miene von Petrine Godbersen, deren Blicke zwischen ihm und dem Hut hin und her wanderten, verstand er plötzlich. Ihm blieb wirklich nichts erspart! Sie hatte einen neuen Strohhut für ihn gekauft. Mit Mühe verwandelte er sein Ächzen in einen Seufzer.
»Ist jetzt Schluss mit den Eskapaden, Herr Bauinspektor?«
»Frau Godbersen!« Am liebsten hätte er darauf hingewiesen, dass sie nicht seine Mutter sei, aber wie immer sperrte sich seine Zunge gegen Unhöflichkeiten. »Ich werde zukünftig nicht mehr in Holzpantinen ins Amt gehen, wenn Sie das meinen.«
»Auch. Aber in der Hauptsache meine ich blutige Oberhemden, Flöhe in Hosen und löcherige Wollsachen, die Ihnen nicht einmal gehören. Wie soll ich dem Drogisten erklären, warum ich Gallseife zum Auswaschen von Blutflecken benötige? Ich bitte mir überhaupt aus, dass Sie nicht wieder wie ein Mullewarp nach Hause kommen! Unsere Waschfrau macht schon ihre Bemerkungen darüber. Ich muss mich ja dauernd für Sie schämen, Herr Hansen!«
»Tut mir Leid.« Hansen stimmte ihr ja von Herzen zu. Er hatte gewiss nicht die Absicht, sich nochmals in die Reichweite von Gewehrkugeln zu begeben oder den Hafenschlamm mit der Nase umzupflügen.
Seine Zustimmung besänftigte Petrine Godbersen. »Wenn Sie mir versprechen, Herr Inspektor, das Bild von Fräulein Gerda auf dem Nachtschrank stehen zu lassen, damit sie ein Auge auf Sie hält, ist es auch in Ordnung«, sagte sie versöhnlich. »Dann brauche ich Sie nicht mehr zu tadeln. Ich bin schließlich nicht Ihre Mutter.«
»Aber so gut wie«, sagte Sönke Hansen, während er wehmütig daran dachte, dass er am liebsten ein klitzekleines Bild von Jorke neben Gerdas stellen würde, was sich nun aber wirklich nicht gehörte.
Stattdessen würde er schnell wieder in seinen gewöhnlichen Alltag zurückfinden müssen, ohne Jorke und ohne die Freiheit, die er in letzter Zeit hatte genießen dürfen. Er beschloss, dies mit einem Kompliment zu tun. »Jedenfalls haben Sie sich in den Augen des Wirts von der Rumboddel als meine Mutter seine Freundschaft auf Lebenszeit erworben, Frau Godbersen.«
»Da bin ich nicht dagegen, Herr Hansen«, sagte sie zufrieden und griff in ihre Schürzentasche. »Mir fällt gerade ein, dass ein Brief für Sie angekommen ist.«
Sprachlos starrte Hansen auf seinen eigenen Namen in Gerdas akkurater Schrift. Dann begann er, den fremden Poststempel zu entziffern. (ENDE)

Artikel vom 23.07.2005