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Da hat BB »Bum-Bum« gemacht

Vor zwanzig Jahren siegt der »17-jährigste Leimener« im Finale von Wimbledon

London (dpa). Die Straßen waren leergefegt wie sonst nur bei Fußballspielen oder Fernsehkrimis. Mehr als elf Millionen Deutsche fieberten an diesem 7. Juli 1985 vor den Bildschirmen mit, als ein rothaariger Jüngling aus dem badischen Leimen, das damals noch den Zusatz »bei Heidelberg« tragen musste, in Wimbledon den gelben Filzball ein letztes Mal mit brachialer Gewalt übers Netz drosch.
Aus der Traum: Barbara und Boris Becker.

Der Ball kam nicht zurück, und mit einem Schlag wurde aus dem 17-jährigen Tennisspieler die Sport-Ikone Boris Becker.
»Vielleicht war er zu jung, um zu wissen, dass er zu jung war, um Wimbledon zu gewinnen«, schrieb die »Washington Post« nach dem Finalsieg in vier Sätzen gegen den zehn Jahre älteren Südafrikaner Kevin Curren. Bei der Deutschen Presse-Agentur hieß es: »Boris Becker hat eines der glanzvollsten Kapitel deutscher Sportgeschichte geschrieben.«
Die Einordnung des Triumphes auf dem Heiligen Rasen, dem der »17-jährigste Leimener« zwei Titel (1986/1989) folgen ließ, spiegelte die binnen zweier Tenniswochen quasi aus dem Nichts entstandene Euphorie wider: »Beckers erfolgreicher Ansturm auf die Wimbledon-Krone setzt ebenso einen sporthistorischen Markstein wie Max Schmelings WM-Gewinn im Schwergewichtsboxen 1930, der erste Sieg von Mercedes in der Automobil-WM 1954 und die WM-Erfolge der Fußball-Nationalmannschaft 1954 und 1974.«
Mit 17 Jahren und 227 Tagen ist Becker bis dato jüngster Wimbledonsieger geblieben. Als dritter Deutscher stand er im Finale und triumphierte als erster: Gottfried von Cramm hatte von 1935 bis 1937 drei Mal im Endspiel gestanden und ohne Satzgewinn verloren wie 1967 Wilhelm Bungert.
Es war 17.26 Uhr an diesem historischen Sonntag im heißen London, als Becker die Hände in die Höhe riss, den Kopf zurückwarf und einen markerschütternden Schrei ausstieß. »Genau in diesem Moment hat sich Beckers Leben für immer verändert«, hieß es im »Daily Express«. Mehr noch: Tennis-Deutschland wurde an diesem Juli-Tag noch einmal geboren. Der weiße Sport boomte im ganzen Land - und der Deutsche Tennis Bund (DTB) begann dank unglaublicher Millionen-Summen aus Sponsoren- und TV-Verträgen im Geld zu schwimmen. Allein die Daviscup-Rechte brachten binnen fünf Jahren 125 Millionen Mark.
Von den Millionen, die auch dank der Wimbledonsiege von Steffi Graf und Michael Stich sprudelten, ist nichts geblieben. Der in weiten Bereichen durch Missmanagement seiner längst abgelösten Funktionäre glänzende Verband schmiss das Geld zum Fenster hinaus und brachte den DTB an den Rand des Ruins. Selbst das Flaggschiff der deutschen Turniere, das Masters am Hamburger Rothenbaum, stand vor dem Aus und konnte erst gerettet werden, als sich der Urheber des Reichtums als Chairman zur Verfügung stellte. Zum eigenen Nutzen gedieh dieses Engagement für Becker allerdings auch.
Im Leben des 37-Jährigen ging nicht alles so glatt wie am 7. Juli 1985 auf dem berühmtesten Center Court der Welt, den Becker später nur noch als »Wohnzimmer« titulierte. Der für Jedermann sichtbare Anfang war schon die Trennung von Trainer Günther Bosch. »Er glaubte, jetzt alles zu wissen«, sagte Bosch im Rückblick auf die während der Australian Open besiegelte Scheidung. Er tat dies ohne Groll, aber schon verbunden mit einem Vorwurf an den siebenmaligen Finalisten in Wimbledon: »Er hätte das Welttennis viel länger dominieren können.«
Auch nach dem Abschied vom Welt-Tennis, der mit einem letzten Auftritt in Wimbledon vor sechs Jahren vollzogen wurde, blieb Becker von Rückschlägen nicht verschont. Die Lehrzeit des Unternehmers, der drei Autohäuser betreibt und Mitinhaber eines Sportartikel-Herstellers mit jetzt auch eigener Modelinie ist, die er am Montag in der Münchener Nobel-Disco »P1« präsentierte (Becker: »Ich saß vor einem Blatt Papier und habe mir überlegt: Was passt zu mir?«), geriet steinig und war von »Pleiten« begleitet.
Der schlimmste Schlag freilich war die Verurteilung als Steuersünder, seit der er vorbestraft ist. Schaden nahm er auch im schmerzhaften Rosenkrieg nach der Trennung von Ehefrau Barbara, der Mutter seiner Söhne Noah Gabriel (11) und Elias Balthasar (5). Für den Seitensprung in eine Londoner Wäschekammer, am Abend nach seinem letzten Match in Wimbledon, musste er Spott und Kopfschütteln einstecken. Tochter Anna (heute 5) wurde neun Monate später geboren.
In der Nähe von Zürich ist er inzwischen Zuhause. Seine Firma »Boris Becker & Co.« hat dort ihren Sitz; doch der Chef ist rastlos unterwegs: zwischen den Kontinenten, auf denen seine drei Kinder leben. Zwischen den Tennisplätzen, auf denen er sich als »Senior« noch immer mit den Großen vergangener Tage misst. Zwischen geschäftlichen Terminen und Auftritten im Fernsehen, in denen er sein neues Leben nach der Sport-Karriere zu präsentieren sucht. Für die BBC und das DSF kommentierte er in den vergangenen zwei Wochen aus Wimbledon wie auch andere Stars von gestern neben ihm.
Doch was immer er nach dem Ende seiner Tennis-Laufbahn angestellt hat, es hielt den Vergleich mit »Bum-Bum-Becker« nicht stand. »Dieser 7. Juli war einfach ein Schicksalstag«, sagt er. Und das ist sicher keine Übertreibung. »Dass das alles so eine Bedeutung hatte, war mir damals überhaupt nicht bewusst.« Der Druck des sich an die Realität gewöhnen Müssens, wich freilich rasch dem Vergnügen an der weltweiten Beachtung. Das führt bisweilen dazu, dass sich der Hofierte maßlos gibt. So erzählte Boris Becker unlängst einem Reporter der Londoner »Sunday Times«: »Ich bin ein unglaublicher Held in Deutschland. Und Deutschland braucht Helden mehr als alle anderen.«

Artikel vom 06.07.2005