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Er stimmt nicht ganz, aber er wird in die Köpfe der Leser eingehen, so dass sie Stefan Nielsen nie mehr vergessen werden.«
»Pjitt-å-pjatt, (Papperlapapp!) Lars! Sei doch mal still mit deiner Geschichte. Für Sönke geht es um Gerda!«, stieß Ella verärgert aus, war mit zwei Schritten bei Hansen und schmiegte ihre Wange an seine, während sie ihn umarmte. »Gerda war nicht an Bord«, flüsterte sie ihm ins Ohr.
»Nicht?«, fragte Hansen ungläubig, während sein Herz einen heftigen Sprung machte. Gleichzeitig spürte er heftigen Hass gegen Nielsen.
»Nein! Ich weiß es auch erst seit gestern.« An ihren Mann gerichtet, fuhr Ella bittend fort: »Jetzt sag uns endlich auch alles Übrige.«
Aber Lars schüttelte den Kopf.
Ella hatte es wohl nicht anders erwartet. Hansen sah ihr an, dass sie trotz seiner Gegenwart Lars den Kopf waschen würde.
»Lars, du kannst nicht aus purer Rache einen Artikel schreiben! Was ist das denn für eine Berufsauffassung!«
»Nein, Ella«, widersprach Rasmussen bestimmt. »So ist es nicht! Wenn Sönke mich trotz seiner Erbitterung eher hätte zu Wort kommen lassen, hätte ich ihm mitgeteilt, dass ich mich längst entschlossen habe, über Nielsens Machenschaften zu schreiben. Ich recherchiere bereits seit einiger Zeit. Was Nielsen mit Sönke gemacht hat, war der Schlusspunkt. Jetzt wird geschrieben.«
»Das sieht dir schon ähnlicher, Lars«, meinte Ella versöhnt. »Wenn aber die Behörden auf Nielsen aufmerksam werden, was wird dann in Zukunft mit den Optantenkindern?«
»Die wird er ohnehin nicht mehr ausschleusen können«, sagte Lars mit einem tiefen Seufzer. »Ich kann es nicht ändern. Glücklicherweise ist ein Bauinspektor des preußischen Wasserbauamtes ein geachtetes Mitglied der Gesellschaft und kein hergelaufener Schwätzer. Die Behörden können seine Ermittlungen zu einem Mord, der Nielsen tangiert, nicht ignorieren, ob ich nun schreibe oder nicht. Aber Nielsens Beteiligung am Sklavenhandel muss auch der Allgemeinheit bekannt werden, und dafür werde ich mein ganzes handwerkliches Können einsetzen.«
Ella nickte. »Es tut mir Leid, Sönke«, fügte sie hinzu, »dass ich dich auf eine falsche Fährte gelockt habe. Ich wusste, dass Nielsen Menschen ausschleust und dachte zunächst selbst, dass auch Gerda É« Sie kam ins Stocken und sah Lars grimmig an.
Rasmussen holte Luft und presste die Kiefer aufeinander.
»Lars schickt ihm nämlich manchmal selbst Optantenkinder É«
»Nils Christiansen ist verschwunden«, griff Hansen schnell ein, um Lars die Auseinandersetzung mit seiner Frau vor den Ohren eines Dritten zu ersparen. »Unser eitler Baron, der es nicht lassen konnte, sich in unkluger Weise einzumischen, hat das zu verantworten.«
»Mal sehen«, sagte Rasmussen und rieb sich die Nase. »Vielleicht finde ich über Christiansen etwas heraus. Ich halte ihn aufgrund der Firmengeschichte für den Haupttäter, Stefan Nielsen ist wohl eher der Nutznießer und das gesellschaftlich anerkannte Aushängeschild.«
Sönke Hansen reiste unendlich erleichtert nach Hause. Gerda lebte, und die Geschichte war in Rasmussens Händen bestens aufgehoben. Stefan Nielsen würde zwar nicht ins Gefängnis wandern, aber gesellschaftlich wäre er vermutlich erledigt. Zumindest in Dänemark. Ein dänischer König würde auf keinen Fall einen Sklavenhändler als Gast laden.
Ob sich der Skandal in Berlin herumsprechen würde, war eine andere Frage. Hajo Clement schied als Berichterstatter aus, und Rasmussen würde seinen Bericht aus politischen Gründen nicht ins Deutsche übersetzen. Und in Berlin tummelte sich auf gesellschaftlichem Parkett der Baron, der seine eigene Version zum Besten geben würde.
Gern hätte er gewusst, warum Ella jetzt so sicher gewesen war, dass Gerda nicht mit der Olivia gereist war. Wo also war sie? Warum wollte Lars weiterhin nichts dazu sagen?
Zu Hause angekommen, warf er sich ins Bett, um endlich einmal auszuschlafen. Er fühlte sich ausgelaugt, ausgenutzt und beschmutzt.
Irgendwann erwachte er von einem kräftigen Klopfen an der Schlafzimmertür. »Herr Bauinspektor«, rief Petrine Godbersen, mit dem Mund anscheinend dicht am Türspalt, »da ist ein Zeitungsschreiber aus Sylt, der mit Ihnen sprechen will, was soll ich mit dem machen?«
Sönke Hansen brauchte ein paar Sekunden, um zu sich zu kommen und über die Frage nachzudenken. »Mit der einen Hand in unserem bequemsten Sessel festhalten, mit der anderen für ihn Kaffee kochen«, rief er zurück.
»Mal sehen, ob ich das schaffe«, gab sie zurück. »Und Sie kommen?«
»So schnell ich kann.« Erstaunt stellte Hansen fest, dass er in einem Schlafanzug mit Plättfalten im Bett lag. Er musste zwischendurch einmal wach gewesen sein und sich gewaschen habe. Daran hatte er so gut wie keine Erinnerung. Frau Godbersen würde doch wohl nicht Hand an ihn gelegt haben? Denn auch von seiner verknitterten Reisekleidung war keine Spur zu sehen.
Aber er fühlte sich frisch und ausgeruht, als er die Küche betrat, wo der Besucher am Tisch saß, Kaffee trank und belustigt Petrine Godbersen mit den Augen folgte, die anscheinend nicht gewagt hatte, einen Zeitungsschreiber im Wohnzimmer allein zu lassen.
Der Besucher erhob sich höflich und streckte Hansen die Hand entgegen. »Moin auch. Ich bin Egge Evaldsen vom Sylter Intelligenzblatt. Nett, dass Sie Zeit für mich haben.«
Hansen sank stumm auf einen Stuhl, ließ sich von Frau Godbersen ebenfalls eine Tasse Kaffee reichen und sann bei seinen ersten Schlucken nach, was die Sylter Zeitung über die Vorfälle auf der Hallig zu melden gehabt hatte. Es war im Großen und Ganzen das Gegenteil dessen gewesen, was Hajo Clement geschrieben hatte. Sachlich. Fundierter.
Evaldsen ließ ihn in Ruhe trinken.
»Ich habe den Artikel des Kollegen Lars Rasmussen gelesen«, erklärte er dann.
Hansen lächelte andeutungsweise und nickte. Der Mann verstand also Dänisch, was bei dem Namen kein Wunder war. »Wieso, ist der schon erschienen?«, entfuhr es ihm.
»Sie haben zwei Tage geschlafen, Bauinspektor«, mischte sich seine Haushälterin in entrüstetem Ton ein.
»Lars hat kein Blatt vor den Mund genommen«, fuhr Evaldsen bewundernd fort. »Wie man ihn kennt, eben. Den Prokurator Christiansen hat er unumwunden als Leuteschinder bezeichnet. So haben ihn übereinstimmend mehrere aus Nielsens Gewehrfabrik entlassene Männer genannt. Christiansen hat sich nach St. Croix abgesetzt, wo Nielsen noch eine Plantage besitzt.«
»Wissen Sie zufällig auch, wie viele Plantagen Nielsen insgesamt hat?«, erkundigte sich Hansen.
»Lars schreibt, dass diese die einzige ist, die übrig geblieben ist. Die anderen É«
»Schon gut«, unterbrach Hansen ihn. »Ich wollte nur klären, ob Stefan Nielsen ganze Schiffsladungen von Gewehren benötigt, damit sich seine Aufseher vor den eigenen Plantagenarbeitern schützen können.«
»Bestimmt nicht. Die verkauft er in Afrika an die Araber.«
»Eben«, sagte Hansen zufrieden und schüttelte dem verdutzten Journalisten nochmals die Hand.
»Es scheint, als würden Sie mit jedem Augenblick wacher«, meinte der schmunzelnd.
»Kann man so sagen. Ich begreife, dass Sie derjenige sind, der einen hoffentlich gepfefferten Artikel über den illegalen Sklavenhandel eines bekannten Flensburger Rum-Kontors schreiben wird. In deutscher Sprache, so dass man ihn auch in Berlin versteht.«
»Der bin ich«, bestätigte Egge Evaldsen und zog einen dicken Schreibblock aus der Tasche.
Sie machten sich an die Arbeit.
Drei Tage später, als Sönke Hansen längst wieder an seinem Schreibtisch im Wasserbauamt war, summte das Haus vor Aufregung. Oberbaudirektor Cornelius Petersen rief schließlich die Mitarbeiter im großen Besprechungszimmer zu einer außerordentlichen Sitzung zusammen.
Als Sönke Hansen sich zusammen mit Friedrich Ross einfand, stellte er fest, dass auch einige Mitglieder der Kommission anwesend waren.
Der Oberbaurat klopfte mit den Fingerknöcheln auf den Tisch, um Ruhe herzustellen, und begann zu sprechen, ohne sich mit Formalitäten aufzuhalten. »Wir haben viel Aufmerksamkeit durch einen Zeitungsartikel erhalten, der sich, wie ich vermute, bis nach Berlin herumsprechen wird É«
Marius von Frechen wedelte so energisch mit der Hand, dass Petersen seine kaum begonnene Rede unterbrach.
»Ich reise morgen nach Berlin!« Der Kapitänleutnant schmetterte seine Worte ebenso heftig heraus, wie er mit der Hand auf den Tisch klatschte. »Ich werde zusehen, dass der Artikel an die richtigen Stellen kommt! Ich finde es unverschämt von diesen Kanaillen von Zeitungsschreibern, sich mit ihren Schmierereien in die Arbeit der mit Schifffahrt befassten Ämter einzumischen.«
Petersen hörte ihm etwas ratlos zu. »Verehrter Herr von Frechen«, sagte er schließlich, »haben Sie den Artikel denn gelesen?«
»Nein, und ich habe auch nicht die Absicht«, antwortete der Kapitän hochnäsig.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 19.07.2005