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Dieses Gespräch war natürlich vertraulich«, begann Nielsen, als der Werftmeister die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Sollten Sie jemals irgendwo vorstellig werden, wo Sie vermuten, man könnte sich für Gewehre in Ballasttanks interessieren, werde ich für Ihre Entlassung aus dem Wasserbauamt sorgen. Glauben Sie mir.«
»Ich glaube es. Und vorübergehend werden Sie nur Optantenkinder in den Tanks verstecken«, sagte Hansen erbittert, »ich verstehe.«
»Also gut«, sagte Nielsen mit mühsam verhaltener Verachtung, »damit Sie in Ihrer deutschen Überheblichkeit endlich Ruhe geben. Ich halte es für meine nationale Pflicht, gelegentlich Menschen aus dem Land zu helfen, die sonst im Gefängnis landen würden. Menschen, wohlgemerkt, deren Verbrechen darin besteht, Söhne oder Töchter von Dänen in Preußen zu sein É«
»Diesen Fehler werden die Preußen sicher noch einmal bitter zu bereuen haben«, merkte Hansen zustimmend an. »Und vielleicht noch mehr, dass sie nicht einmal mehr die Einbürgerung der staatenlosen Optantenkinder nach Dänemark gestatten. Diese Politik der harten Hand gegen jugendliche Hitzköpfe ist eine Politik von alten Narren! Man würde verzweifeln, wenn man nicht wüsste, dass es immerhin schon einmal eine Verständigung mit Dänemark gab. Das gibt ein wenig Hoffnung É«
»Wie bitte?« Nielsen musterte ihn ungläubig.
Hansen hatte keine Lust, ihm zu erklären, dass man auch auf deutscher Seite imstande war, die Unterdrückung zu erkennen, mit der die Dänen leben mussten, und nicht jeder damit einverstanden war. »Sind die Optanten der Grund, weshalb Sie die Olivia verkauft und damit aus dem deutschen Schiffsverzeichnis entfernt haben?«
»So ist es. Christiansen hatte sich für die dänische Staatsangehörigkeit entschieden, infolgedessen fuhr seine Olivia unter dänischer Flagge É«
»Hatte?«, warf Hansen ein.
»Er ist inzwischen selbst staatenlos«, antwortete Nielsen unwirsch. »Sie haben allerhand herausbekommen, Herr Hansen. Preußische Gründlichkeit, nicht wahr? Sie haben in gewisser Weise meine Bewunderung É«
»Darauf verzichte ich. Sie sind ein Heuchler.« Hansen ballte erbittert die Fäuste.
»Ich bin in dem von Ihnen geäußerten Sinn unschuldig«, widersprach Nielsen mit schmalem Lächeln. »Ich helfe Flüchtlingen, und ich versende Gewehre aus meiner Fabrik zu meinen eigenen Plantagen. Wie die Gewehre verpackt sind, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Details der Befrachtung sind ausschließlich Sache des Reeders und des Kapitäns, wie auch Ihnen klar sein dürfte. Ich zahle schließlich dafür, dass mein Eigentum ankommt.«
Hansen blieb stumm. Zwar hatte er nicht damit gerechnet, dass Nielsen sich aus Scham erschießen würde, aber auch nicht, dass er alles abstreiten würde. Er war der Gauner, als den ihn Aksel Andresen unverblümt bezeichnet hatte, ein Mann ohne jedes Ehrgefühl. Genauer gesagt, handelte es sich um ein Gaunertrio, bestehend aus Nielsen, Christiansen und Carstensen. Offensichtlich hatten sie sich auf Fragen vorbereitet.
Trotz allem hatte er das Gefühl, dass Nielsen von dem Toten nichts gewusst hatte. Ein Optantensohn war der Mann nicht gewesen.
Auf einmal dämmerte ihm die Erklärung. Der Mann musste blinder Passagier gewesen sein!
In diesem Augenblick klingelte das Telefon. Nielsen nahm das Gespräch mit verwundertem Gesicht an.
Die Stimme an der anderen Seite der Leitung redete schnell und leise. Sönke Hansen verstand nichts, glaubte aber, einmal den Namen Olivia zu vernehmen.
Stefan Nielsen hockte auf der Sesselkante, plötzlich nur noch ein verunsicherter junger Mann, auf dessen Stirn sich Schweißtropfen sammelten. Als die Stimme in der Leitung verstummt war, bedeckte er seine Augen mit den manikürten Fingern. »Die Olivia ist im Sturm vor Portugal gesunken«, stammelte er. »Welch ein Verlust!«
»Ist jemand gerettet worden?«, fragte Hansen, starr vor Schrecken.
Nielsen zuckte die Achseln und schüttelte gleich darauf den Kopf.
»Wissen Sie denn, wie viele Passagiere an Bord waren?« Hansen klammerte sich an die Lehnen seines Sessels.
»Weiß ich nicht.« Desinteressiert an Hansens Frage, angelte Nielsen nach einer frischen Zigarre. Als sie brannte, lehnte er sich im Sessel zurück und schaute zur Decke. »Na ja. Man wird es überstehen«, murmelte er. »Das Kontor hat schon vieles überstanden.«
Nielsen begann sich, bereits eine Minute nachdem er vom Verlust einer ganzen Schiffsmannschaft erfahren hatte, zu erholen! Seine Kaltschnäuzigkeit verschlug Hansen fast die Sprache. »Meine Verlobte? Gerda Rasmussen?«, brachte er krächzend heraus.
Nielsen verzog die Lippen zu einem schadenfrohen Grinsen.
Hansen sprang auf und taumelte zur Tür, wo er sich kurz umdrehte. Nielsens Blicke waren ihm gefolgt, und er grinste noch immer.
Kapitel 25
S
önke Hansen lehnte mit geschlossenen Augen am Tor des Rum-Kontors und überlegte, ob es einen Zweck hatte, jetzt doch die Polizei zu rufen. Aber wozu? Damit sie einen Mann festnahm, der in einer Havarie nur den finanziellen Verlust sah?
»Komm, ich begleite dich zur Rumboddel«, sagte eine Stimme an Hansens Ohr, und jemand packte seinen Oberarm.
Ohne nachzudenken, riss Hansen sich los und taumelte mit dem Rücken an einen harten Gegenstand, der ihn zur Besinnung brachte. »Oh, du bist es«, sagte er erleichtert, als er Peter Müller erkannte. »Ich dachte, Nielsen schickt seinen Schläger hinter mir her.«
Müller schaute ihm ernst ins Gesicht. »Weißt du, nach allem, was gewesen ist, habe ich mir angewöhnt, dieses Kontor im Auge zu behalten. Das sind Schurken, das merkt man schon an ihrem Rumverschnitt. Ich sah erst dich hineingehen, dann den Carstensen von der Werft, auch so eine zwielichtige Type É Nicht mehr lange, und ich hätte dich herausgeholt.«
»Danke«, sagte Hansen, »du bist ein echter Freund. Heute habe ich einen Aquavit nötig. Bloß keinen Rum!«
»Hört sich gut an«, sagte Müller anerkennend. »Hast du etwas zu feiern? Siehst allerdings nicht gerade glücklich aus.«
»Die Olivia ist untergegangen«, murmelte Hansen.
Viel später nahm Peter Müller Hansen mit zu sich nach Hause. Den Bahnhof hätte Hansen mit seinem benebelten Kopf nicht gefunden.
Am nächsten Tag fuhr Sönke Hansen unter Kopfschmerzen nach Tondern, holte Lars Rasmussen gnadenlos vom Schreibtisch weg und zwang ihn, seine Geschichte anzuhören.
Der Journalist sog mit gesenktem Kopf an einer unregelmäßig gedrehten Zigarette und sprach kein Wort.
»Ich weiß, dass du dich zu Stefan Nielsen und seiner Sklavenhalterei in deiner Zeitung nicht äußern wirst«, sagte Hansen erbittert, »aber ich möchte, dass wenigstens du weißt, was du deinen Lesern verschweigst. Einiges habe ich herausbekommen. Anderes nicht. Wenn du mich begleitet hättest, könnte das jetzt anders aussehen. Ich hoffe, das ist dir klar.«
»Hm«, grunzte Lars.
»Du bist geübt im Umgang mit Menschen, die nicht erzählen wollen, was du erfahren willst. Ich nicht. Mein Umgang sind harmlose, friedliche Halligmenschen.« Stimmte das überhaupt? Seine Qual wuchs. Wie sollte er dem Vater mitteilen, dass seine Tochter wahrscheinlich beim Untergang der Olivia ertrunken war?
»Was genau willst du damit sagen?«, fragte Rasmussen rauh.
»Dass du ihm vielleicht das Geständnis entlockt hättest, wenn du mich begleitet hättest. Ich konnte es nicht. Und er wird mit dem Sklavenhandel weitermachen.«
Der Journalist schüttelte seinen ergrauenden Lockenkopf. »Du überschätzt meine Möglichkeiten. Männer wie Stefan Nielsen bekommen die Kriegsführung gegen das niedere Volk schon in die Wiege gelegt. Da steckt die Erfahrung von Generationen dahinter.«
Ella, die sich auf einen Stuhl am Bücherregal gehockt hatte, nickte. Beim Anblick ihrer kummervollen Miene und der neuen grauen Strähnen in ihrem Haar brachte Hansen es nicht mehr fertig, die Fassade zu bewahren.
Er vergrub sein Gesicht in den Händen. Tränen liefen ihm über die Wangen. »Gerda ist vermutlich tot«, flüsterte er. »Sie war anscheinend auf der Olivia, die vor Portugal untergegangen ist.« Im Raum war es still, nur die Standuhr tickte gleichmäßig. Als ob ein Leben verrinnt, dachte er.
Plötzlich brach Rasmussen die Stille. »Wie kommst du darauf? Hat Stefan Nielsen dich das glauben lassen?«
Hansen sah hoch. »Ja.«
Lars holte tief Luft.
»Dass der Mensch, den ich am meisten liebe, auf dem Schiff ums Leben kam, dessen verbrecherische Geschichte ich gerade aufgedeckt hatte, schien Nielsen Vergnügen zu bereiten. Ich hatte das Gefühl, dass er es nachträglich als Rache für meine Einmischung betrachtete É«
Rasmussen zermalmte den kurzen Stummel seiner Zigarette im Aschenbecher, als handele es sich um Ungeziefer. »Ich werde die Geschichte des Sklavenhändlers Nielsen schreiben«, verkündete er mit ruhiger Gelassenheit.
»Der Titel wird sein: Der Sklavenmord«, fuhr Lars Rasmussen grimmig fort. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 18.07.2005