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Kanzlers Ausflug in die Welt der Rechner

Gerhard Schröder besucht das Heinz-Nixdorf-Museumsforum in Paderborn und staunt

Von Christian Althoff
und Wolfram Brucks (Fotos)
Paderborn (WB). Mittags hatte Gerhard Schröder in Berlin das Wahlprogramm der SPD vorgestellt, heute wird er in Schottland am G8-Gipfel teilnehmen. Zwischen diesen beiden Terminen flog der Bundeskanzler gestern nach Paderborn, um das »Heinz Nixdorf Museumsforum« (HNF) zu besuchen.
Anne Fuchs aus Paderborn passte den Kanzler vor dem Computermuseum ab: »Ich wollte Ihnen danken, dass Deutschland nicht mit in den Irakkrieg gezogen ist«, sagte sie. Neben dem Kanzler stehen Ute Berg und Dr. Kurt Beiersdörfer.

»Erst dachte ich: Schon wieder ein Museum?«, gestand der Kanzler mit einem schelmischem Lächeln. »Aber nachdem ich das hier gesehen habe, muss ich sagen: Toll, was die Macher auf die Beine gestellt haben!«
Gerhard Schröder war von der Paderborner Bundestagsabgeordneten Ute Berg (SPD) eingeladen worden, die ihn auf dem Flughafen Paderborn empfangen hatte. Zunächst besuchten die beiden das »L-Lab« - eine Forschungseinrichtung der Uni Paderborn und des Unternehmens Hella. Dort wird derzeit ein Scheinwerfer entwickelt, der nachts die Fahrbahn vor einem Auto taghell erleuchten, für einen entgegenkommenden Autofahrer aber kaum sichtbar sein soll.
Vom »L-Lab« ging's direkt ins Computermuseum. Mit 6000 Quadratmetern ist das HNF das größte der Welt. Bis zu 130 000 Besucher bestaunen hier seit 1996 Jahr für Jahr die Exponate, die unter dem Leitsatz »Von der Keilschrift bis zum Computer« zusammengetragen worden sind und von denen etliche ausprobiert werden dürfen. Außerdem bietet das HNF jährlich etwa 800 Veranstaltungen an - von Lötkursen für Kinder bis zu wissenschaftlichen Vorträgen.
30 Minuten hatte der Kanzler mitgebracht - für die HNF-Geschäftsführer Norbert Ryska und Dr. Kurt Beiersdörfer kaum genug Zeit, um dem Gast aus Berlin auch nur die Highlights ihres Hauses zu zeigen. Die Erläuterungen, die die beiden Gastgeber gaben, verblüfften den Kanzler immer wieder. So erfuhr er, dass der Abacus noch immer verbreiteter ist als elektronische Taschenrechner, und dass es Menschen gibt, die mit diesem alten Rechenwerkzeug schneller Aufgaben lösen können als andere mit einem Computer. Auch der Nachbau der Rechenmaschine von Gottfried Wilhelm Leipniz von 1690, die als erste die vier Grundrechenarten beherrschte, ließ Gerhard Schröder staunen. »Unsere funktioniert - im Gegensatz zu dem Original in Hannover«, erklärte Dr. Kurt Beiersdörfer, der den Defekt des Originals damit erklärte, dass es im 17. Jahrhundert einfach nicht möglich gewesen sei, hochpräzise mechanische Teile herzustellen.
Mit Interesse betrachtete der ehemalige Stürmer des TuS Talle auch die Fußballroboter, die einmal jährlich im HNF gegeneinander antreten, und er ließ sich auf ein Gespräch mit Max ein - einer virtuellen Figur, die von Forschern der Universität Bielefeld programmiert worden ist und Fragen der HNF-Besucher beantworten kann.
Am überraschtesten zeigte sich Schröder, als er erfuhr, dass die Begriffe »getürkt« und »einen Türken bauen« wahrscheinlich ihren Ursprung in einer Maschine haben: Im Museum wurde dem Kanzler der originalgetreue Nachbau des »Schachtürken« erklärt - einer Maschine, die 1770 von einem österreichisch-ungarischen Beamten erdacht worden war. Auf ihr saß eine als Türke gekleidete Puppe, die angeblich jeden Schachspieler schlagen konnte und auch Napoleon beim Spiel verlieren ließ. Mehr als 50 Jahre war das Geheimnis des vermeintlichen Automaten mit seinen Walzen und Gestängen für die Öffentlichkeit ein Mysterium geblieben - bis sich herausgestellt hatte, dass ein sehr begabter Schachspieler im Sockel der Maschine gesessen und die Puppe aus seinem Versteck fernbedient hatte. »Donnerwetter!«, entfuhr Schröder, als er einen Blick in das komplizierte Innenleben des »Schachtürken« geworfen hatte. »Das muss ich heute Abend meiner Frau erzählen!«
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Artikel vom 06.07.2005