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Leitartikel
Skandalserie bei VW

Wolfsburg
versinkt
im Sumpf


Von Bernhard Hertlein
Kurzfristig und rein kapitalistisch kann sich die Investition aus der Sicht eines Personalvorstandes durchaus lohnen. Die Euros, die ein kleines Verwöhnprogramm mit Luxusreise und Behandlung durch eine brasilianische Schönheit kostet, sind durch Einsparungen bei den Löhnen und Gehältern von zigtausend Beschäftigten schnell zurückverdient.
Vielleicht erklärt sich daraus die relative Gelassenheit der Volkswagen-Aktionäre angesichts einer nun schon Tage andauernden Kette von Skandalnachrichten. Schließlich lässt sich vermuten, dass das Affären-Bombardement den Rest-Betriebsrat so schwächt, dass er kaum in der Lage sein wird, eine wirksame Front gegen das vom Management vorgelegte neue Sparprogramm aufzubauen.
Die Folgen dessen, was das »Netzwerk« um Ex-Skoda-Personalchef Helmuth Schuster und den Ex-Betriebsratsvorsitzenden Klaus Volkert nicht nur dem Konzern, sondern ebenso den Gewerkschaften und vielleicht sogar der SPD allem Augenschein nach ins Nest gepackt haben, lassen sich bisher kaum abschätzen. Dabei ist der Aufbau von Tarnfirmen zum Absahnen von Bestechungsgeldern strafrechtlich sicher höher zu werten als Volkerts Niederlagen im Kampf gegen den Lockruf des Luxus und gegen die Verlockungen des Fleisches.
Letztere aber bilden den Stoff, aus dem Gespräche am Fließband gemacht sind. Man darf gespannt sein, ob es den übrig gebliebenen Betriebsräten gelingt, die Arbeiter zu überzeugen, dass sie von allem nichts gewusst haben - geschweige denn, daran teilhatten.
Unfair wäre es, alle Betriebsräte gleich welchen Unternehmens in einen Kofferraum zu packen - unfair und für die Wirtschaft schädlich. Die meisten Betriebsräte leisten als Bindeglied zwischen Firmenleitung und Belegschaft eine wichtige Aufgabe in den für die Beschäftigten meistens schmerzhaften Phasen der Umstrukturierung und Zukunftssicherung. Dass sich bei VW seit Jahren fast nichts ohne den Betriebsrat bewegt und selbst normale Beförderungen an die Mitgliedschaft in der IG Metall gekoppelt sein sollen, ist eine Besonderheit des größten deutschen Autokonzerns.
Fest steht: Was sich gegenwärtig in der Höhle von Wolfsburg abspielt, ist zuallererst ein Krise von VW. Es ist ja nicht das erste Mal, dass Konzernmanager mit großem Aufwand der Langeweile der norddeutschen Tiefebene entfliehen. Die Bilder vom gemeinsamen Auftritt der Ehepaare Piëch und Schröder-Köpf beim Wiener Opernball sind in Erinnerung.
So könnten sich der Schuster-Skandal und die Affäre Volkert bei VW auch zum Anfang der Ferdinand Piëchschen Götterdämmerung entwickeln. Anzunehmen ist, dass Personalvorstand Peter Hartz beim einfachen Abzeichnen der großzügigen Spesenrechnungen wenn nicht auf Geheiß, so doch mindestens im Geiste des »Gottvaters« im Hintergrund gehandelt hat. Was anderes als seinen Rücktritt könnte die nächste Hartz-Reform beinhalten?

Artikel vom 06.07.2005