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Vergewaltigung im Hafturlaub?

Ministerium ordnet Untersuchung an

Von Christian Althoff
Bielefeld (WB). Ein Sexualstraftäter soll am 4. Juni einen Freigang aus der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne (Außenstelle Verl) genutzt haben, um eine Frau zu vergewaltigen. Das nordrhein-westfälische Justizministerium hat eine Untersuchung des Vorfalls angeordnet.
Auch Mörder Dieter Zurwehme hielt der Psychologe für ungefährlich.
Stefan S. (30) war 2004 vom Landgericht Essen zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden, nachdem er ein Mädchen (17) vergewaltigt hatte. Er hatte die Tat bis zuletzt bestritten und ausgesagt, das Opfer habe sich die Tat nur ausgedacht.
Als Stefan S. seine Strafe im Januar in der JVA Bielefeld-Senne angetreten hatte, war er von einem Diplom-Psychologen untersucht worden. Dieser bezifferte das Rückfallrisiko innerhalb der kommenden sieben Jahre mit 17 Prozent. Da Stefan S. die Tat leugne, habe ein Therapieangebot vorläufig wenig Sinn, schrieb der Diplom-Psychologe. Der Häftling solle deshalb zunächst in einer Gruppe weiterer »Leugner« behandelt werden. Der Experte warnte zudem, Stefan S. dürfe als Sexualstraftäter »nur unter ständiger Beaufsichtigung« erprobt werden. Außerdem sei es »zwingend erforderlich«, vor der Gewährung eines ersten selbständigen Ausgangs ein Gespräch mit der Verlobten des Häftlings zu führen. Die Befürchtung war offenbar, dass sich die Frau von dem Häftling trennen könnte, was einen Rückfall wahrscheinlicher gemacht hätte.
Bevor mit der Verlobten Kontakt aufgenommen werden konnte, sagte sich diese von dem Gefangenen los. Der befürchtete Rückfall geschah daraufhin am 4. Juni in Gelsenkirchen, wo sich der Häftling während eines Wochenendurlaubes aufgehalten hatte. Polizisten nahmen den 30-Jährigen unter dem Verdacht fest, eine 22-jährige Frau vergewaltigt zu haben. Stefan S. wurde in den geschlossenen Vollzug verlegt.
Das NRW-Justizministerium prüft nun neben anderem, ob das Gutachten, das bei der Aufnahme des Häftlings erstellt worden war, ausreichend berücksichtigt wurde, als man Stefan S. Lockerungen gewährte. Das Ministerium hat den JVA-Leiter Rolf-Joachim Roth inzwischen um die Beantwortung von etwa 20 Fragen gebeten. Roth sagte gestern, die Vollzugskonferenz (ein Gremium aus mehreren JVA-Mitarbeitern) habe keine Bedenken gehabt, dem Häftling Freigang zu gewähren: »Wir sind von dem Rückfall überrascht worden.«
Auffallend: Der Anstaltspsychologe, der sich in der Vollzugskonferenz für Lockerungen ausgesprochen haben soll, soll jener Psychologe sein, der 1996 auch uneingeschränkte Ausgänge und Urlaube des Mörders Dieter Zurwehme befürwortet hatte. Von einem dieser Freigänge war Zurwehme im Dezember 1998 nicht mehr in die JVA Bielefeld-Senne zurückgekehrt. Auf seiner Flucht durch Deutschland hatte er vier Menschen ermordet und ein Mädchen vergewaltigt.

Artikel vom 05.07.2005