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Auf dieser Seite der Förde waren die Fischerboote vertäut, jenseits befanden sich die Hafenanlagen mit einem Ladekran. Ein größeres Segelschiff wurde gerade beladen.
Endlich fiel Hansen ein, was er zu klären hatte. »Wie werden Nielsens Waffen eigentlich abtransportiert? Per Schiff?«
Der Alte verzog sein Gesicht zu einem spöttischen Grinsen. »Stell dir vor: Das weiß niemand so genau. Gelegentlich verlässt eine beladene Karre die Fabrik und fährt zur Eisenbahnstation. Aber ich will meine Liselotte darauf verwetten, dass all die angelieferten Eisenplatten nicht so wenige Gewehre ergeben können!«
»Du meinst also, sie verladen die Hauptmenge der Waffen heimlich auf das Schiff?«
»Wir sind gleich in der Stadt. Wo kann ich dich absetzen?«, fragte der Bauer, die Frage ignorierend.
Hansen beließ es dabei. »Hier. Es ist besser, wenn du nicht mit mir gesehen wirst.«
Der Alte lächelte zahnlos. »Umgekehrt auch. Die Nielsens haben ihre Augen überall. Man muss vorsichtig sein.«
Den Geldschein, den Hansen ihm reichte, nahm er an, ohne sich zu zieren. Er hatte ihn verdient.
Die Otto-Johannsen-Handelsgesellschaft residierte in einem ehrwürdigen Haus in der Nähe des Hafens, das Sönke Hansen fand, ohne jemanden fragen zu müssen. Das Automobil sah er nicht mehr.
Er wurde sofort zum Handelsherrn vorgelassen. Sein Blick fiel auf das imponierende Schiffsporträt an der Wand, ein in Öl gemaltes Schiff unter Dampf. Das Schiff, dessen Modell er in Nielsens Glasvitrine gesehen hatte. »Die Olivia«, stieß er aus.
»Bitte«, sagte der Kaufmann mit einem Lächeln in den Augenwinkeln und deutete auf den Besuchersessel. »Nehmen Sie Platz und betrachten Sie die Olivia ausgiebig. Ich hoffe, ich störe Sie dabei nicht.«
Hansen registrierte endlich, dass hinter dem Schreibtisch ein Mann in mittlerem Alter saß, der anscheinend Humor hatte. »Oh, Verzeihung, Herr Johannsen«, sagte er, »ich suche schon so lange nach Informationen über dieses Schiff, das eine wesentliche Rolle in einer langen Geschichte spielt, dass ich meine Manieren vergaß. Mein Name ist Sönke Hansen, ich bin Bauinspektor im Wasserbauamt von Husum.«
Johannsens Lächeln schmolz weg. »Übernehmen Sie sich da nicht?«, fragte er.
Hansen breitete die Hände aus. »Ich gebe zu, dass meine Kleidung für den Besuch in einem angesehenen Kaufmannskontor nicht die richtige ist. Halten Sie mir zugute, dass ich im Wald gejagt wurde, wobei ich einen Streifschuss erhielt, und mein ganzes Gepäck zurücklassen musste.«
»Wo wurden Sie gejagt?«
Hansen beschloss, alles auf eine Karte zu setzen. »Auf dem Gelände von Nielsens Gewehrfabrik.«
»Nielsens«, wiederholte der Kaufmann. »Der passende Ort für Abschüsse. Mit Absicht?«
»Ich suche, wie gesagt, nach der Olivia«, sagte Hansen stur.
»Auf Nielsens Schiffsbrücke etwa? Nun, wenn ein Fremder neugierige Fragen nach diesem Schiff stellt, könnte ich mir sehr gut vorstellen, dass Schüsse fallen.«
»Tatsächlich?« Der Kaufmann wusste etwas. Aber Hansen wartete vergeblich auf eine Erklärung.
Johannsen drehte sich zu dem Kapitänsbild um. »Mein Vater hat sie bauen lassen. Aber ein einziges Schiff ist für einen Kaufmann zu wenig, um sein Geschäft darauf zu stützen. Sie wurde ihm zu teuer.«
»Er verkaufte an Frederik Nielsen?«
»An eben den«, bestätigte Johannsen. »Aber der soll sie später an seinen eigenen Prokurator weiterveräußert haben É« Er unterbrach sich. »Was ist mit Ihnen? Ein Streifschuss, sagten Sie? Ein Glas Wasser? Oder Kognak?«
»Danke, vielen Dank, es ist nicht nötig. Mit dem Streifschuss ist es nicht so schlimm. Ich fange langsam an, einige Zusammenhänge zu begreifen. Herr Johannsen, wissen Sie, ob die Olivia, als sie im Besitz Ihrer Familie war, im Handbuch für die deutsche Handelsmarine eingetragen war?«
»Ich kann es nicht beschwören«, erklärte Johannsen bedauernd, »aber wenn es vorgeschrieben gewesen sein sollte, war sie es. Mein Vater war ein äußerst korrekter Mensch. Er hatte die Olivia sogar versichert, was sehr selten ist, wie ich mir habe sagen lassen.«
»Das stimmt«, versicherte ihm Hansen, dessen Gedanken inzwischen eine bestimmte Spur verfolgten. »Dann möchte ich vermuten, dass Nielsen sich nie als Däne bekannt hat, während der Prokurator Nils Christiansen, der seit Frederiks Tod für dessen Sohn Stefan arbeitet, dänischer Optant sein muss. Damit konnte die Olivia aus dem Handbuch der deutschen Schiffe gestrichen werden.«
Johannsen nickte. »Ich könnte mir vorstellen, dass ein Schiff schwieriger zu überwachen ist, wenn die politischen Irrungen und Wirrungen zwischen Preußen und Dänemark auch eine Rolle spielen.«
»Und die Waffenfabrik bedient sich dieser Grauzone«, sagte Hansen klipp und klar.
»Ich fürchte«, murmelte Johannsen und bot seinem Besucher eine Zigarre aus einem gut bestückten Kasten an.
»Besten Dank, ich rauche nicht. Aber dürfte ich die Olivia abzeichnen? Ich muss das Bild jemandem zeigen, der sie wahrscheinlich gesehen hat É«
Johannsen, der inzwischen seine Zigarre angezündet hatte, legte Sönke mit der freien Hand einen Bogen Papier und einen Bleistift hin.
»Die Risse haben Sie wohl nicht mehr im Besitz?«, fragte Hansen hoffnungsvoll, während er geübt zu zeichnen begann.
»Ich wüsste nicht. Mein Vater war, wie gesagt, sehr korrekt. Risse bleiben beim Schiff und eine Kopie in der Werft.«
»Ja, natürlich«, murmelte Hansen.
»Sie zeichnen, als hätten Sie es gelernt.«
»Das habe ich auch. Deichbauer müssen Deichquerschnitte, Böschungswinkel, Schleusentore und anderes mehr in unterschiedlichen Dimensionen berechnen und zeichnen können«, antwortete Hansen abwesend. Er sah auf, als er den Kaufmann leise lachen hörte.
»Ich dachte, ich könnte Sie doch noch als Landstreicher überführen«, gab Johannsen scherzhaft zu. »Ich leiste Abbitte. Was die Olivia betrifft, sieht sie heute sicher ganz anders aus. Ein Kenner hat mir mal erzählt, dass die Schornsteine abgebaut werden, um weniger Windwiderstand zu bieten, desgleichen die Deckshäuser, und wenn die Rümpfe dann aus Kostengründen im Verhältnis zur Schiffslänge zu wenig Masten erhalten, sehen sie aus wie ein überlanges Fuhrwerk, dem ein paar Radachsen fehlen. Den Anblick muss man sich nicht antun.«
»Gut beschrieben. Könnte sein, dass sie jetzt genau so aussieht.«
Johannsen wandte sich wieder zum Bild um und seufzte wehmütig. »Hier ist sie noch wunderbar ausgewogen. Als Segler getakelt möchte ich sie, wie gesagt, nicht sehen. Die Chance besteht gottlob auch gar nicht.«
»Warum nicht?«, fragte Hansen, der das Gespräch nicht versiegen lassen wollte, was er für unhöflich gehalten hätte.
»Sie befährt den Fjord nicht.«
»Aber die Waffenkisten É«, wandte Hansen überrascht ein.
»Sie hat zu viel Tiefgang. Das war auch einer der Irrtümer meines Vaters. Die Olivia ankert irgendwo weiter draußen. Wie die Kisten an Bord gelangen, weiß niemand ganz genau. Jedoch denke ich, dass aus Hadersleben ausfahrende Fischerboote an der Zollstation nicht überprüft werden.«
»Sie sind Deutscher, nicht wahr?«, erkundigte sich Hansen plötzlich.
Johannsen nickte. »Wie die meisten alteingesessenen Kaufleute in der Stadt. Aber für Geschäftsleute wie die der Firma Nielsen hat kein Bürger etwas übrig, ob deutsch oder dänisch.«
Sönke Hansen lachte leise, während er die Zeichnung des schönen Schiffs vollendete. Dann hätte er wohl auch die Kutsche gefahrlos nehmen können. Aber er war trotzdem froh, es nicht getan zu haben. Einen Bauern kennenzulernen, der mit Hilfe eines Rechtsanwalts gegen die Nielsens vorging, war alles Ruckeln der Welt wert gewesen.
Kapitel 23
Nachdem Hansen sich die Angelegenheit auf der Rückfahrt gründlich überlegt hatte, beschloss er, sie auf sich beruhen zu lassen. Er war ohne Erlaubnis auf dem Gelände einer Waffenfabrik umhergestreift, wo man geradezu davon ausgehen musste, dass Schüsse fielen. Beweise gegen Fiete Rum hatte er nicht, und schließlich war er dort auch nicht verfolgt worden.
So fuhr er wie geplant über Husum nach Amrum und von dort weiter nach Hooge. Wenn erst geklärt war, ob das Schiff auf den Sänden die Olivia gewesen war, wäre er ein ganzes Stück in den Ermittlungen weiter.
Unterwegs auf dem Dampfschiff verpasste er seiner Zeichnung mit dem Bleistift Schatten und Tiefe, und fand sie recht gut gelungen. Außerdem fertigte er eine Kopie an, die in wesentlichen Punkten gegenüber der ersten verändert war.
Trotz des strömenden Regens gut gelaunt und aufs Höchste gespannt, wanderte er zur Ockelottswarft. Auf der Straße erst fiel ihm ein, dass er Knuds Quatsche im Hafen gar nicht gesehen hatte, vielleicht hatte er sie einfach übersehen. Wie ein gerupftes Huhn langte er vor dem Haus des Fischers an. Leider bestätigte allein der Gesichtsausdruck von Knuds Frau seine Befürchtung. »Was ein Pech aber auch«, rief sie. »Du bist Sönke Hansen, nicht wahr, und willst zu Knud.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 13.07.2005