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Vielleicht aber doch«, widersprach der Oberbaurat freundlich. »Sie werden ausdrücklich lobend erwähnt, insbesondere, weil der Plan eines Leuchtfeuers auf Nordmarsch erstmalig von Ihnen ins Licht der Öffentlichkeit gerückt wurde.«
Der aufgeblasene kleine Kapitän schrumpfte vor aller Augen zusammen, als ob man die Luft aus ihm herausgelassen hätte. Unter allgemeinem Schweigen rückte er seine Mütze auf dem Tisch zurecht, bis sie ihm exakt genug ausgerichtet schien. »Wenn es so ist«, murmelte er.
Hansen atmete tief durch. Gott sei Dank. Die richtige Taktik zu wählen war für Evaldsen und ihn wesentlich schwieriger gewesen als die reine Berichterstattung. Er hatte aufpassen müssen, dass sie nicht der Kommission auf die Zehen traten. Leider hatte er gar keine Zeit gehabt, sich die Zeitung zu beschaffen, deshalb kannte er den Artikel auch noch nicht.
»Ein Herr Evaldsen, Verfasser des Artikels«, führte der Amtsleiter weiter aus, »hat nicht lediglich über den Sklavenhandel berichtet, den wir alle als schmutziges Geschäft ansehen, sondern eben auch über die Mängel der Befeuerung an der Westküste, durch die das Verbrechen zutage getreten ist.«
»Womit er die Kommission in den Schmutz gezogen hat«, versetzte Baron von Holsten giftig. »Was weiß denn das unwissende Publikum über den Unterschied von Küstenschutz für die Halligbevölkerung und Schutzmaßnahmen für die Großschifffahrt? Das alles steht jetzt da als Versäumnis der von mir geleiteten Kommission. Und das ist, um es gemäßigt auszudrücken, eine Unverschämtheit!«
»Auch das trifft alles nicht zu«, verneinte Petersen glatt, »die Kommission wurde gewürdigt als die Instanz, die sich um die Lösung der Probleme bemüht, und natürlich wurde Ihr Name in diesem positiven Sinne angeführt.«
»Im Zusammenhang mit Sklavenhandel«, blaffte von Holsten, augenscheinlich fest entschlossen, sich nicht beschwichtigen zu lassen. »Stefan Nielsen, der zu allen öffentlichen schleswigschen und holsteinischen Anlässen eingeladen wird, plötzlich als Sklavenhändler beschuldigt! Und mein Name in einem Atemzug mit einem Sklavenhändler! Das ist eine Erniedrigung, wegen der man sich duellieren müsste! Aber nicht mit einem solchen Schmierfink!«
»Aber was Nielsen betrifft, stimmt es doch, Herr von Holsten«, warf Hansen besänftigend ein. »Man kann nicht ignorieren, dass er seinen Reichtum aus dem Handel mit Menschen schöpft. Ihm muss das Handwerk gelegt werden!«
Der Baron wurde puterrot, während er Hansen aufs Korn nahm. »Und Sie erst«, schrie er ihn in einem neuen Wutausbruch an, »stellen sich dar als der rettende Engel von Nordfriesland. Was haben Sie dem Zeitungsschmierer gezahlt, damit der Sie so in den Himmel hebt? Leugnen Sie nicht, Hansen! Ich habe oft genug mit diesem Gesocks zu tun gehabt, um es zu kennen!«
»Was meinen Sie denn?«, stammelte Hansen entgeistert. »Wovon sprechen Sie?«
»Er gibt sich auch noch ahnungslos«, schnauzte von Holsten und wandte sich mit anklagender Miene an den Oberbaurat, um diesem das Wort zu überlassen.
»Auch Sie haben nicht gelesen?«, fragte Petersen.
Hansen schüttelte beschämt den Kopf.
»Es handelt sich um den Schluss des Artikels. Herr Evaldsen muss Sie gefragt haben, warum Sie Ihre Ermittlungen fortgeführt haben, obwohl Ihr Leben mehrmals in Gefahr geriet, und Nielsens Rum-Kontor in Flensburg genau genommen weder das Wasserbauamt noch Sie etwas anging.«
»Eben!«, rief der Baron.
Das stimmte.
Egge hatte Hansen gefragt. Aber das war schon der private Teil ihrer Besprechung gewesen. Hansen stieg das Blut in den Kopf.
»Und Sie«, setzte Petersen fort, »haben geantwortet, dass Sie staatliche Ungerechtigkeit gegen Bürger des Landes grundsätzlich bekämpfen. Insbesondere sähen Sie Ihre dänische Verlobte als Opfer des preußischen Staates. Bei der Suche nach ihr seien Sie auf das Kapitalverbrechen des Sklavenhandels gestoßen, das nicht nur ein Verbrechen gegen Bürger, sondern eines gegen alle Menschen sei É«
»Sind Sie Däne oder Deutscher?«, geiferte der Baron.
»Das sollte nicht in den Artikel hinein!« Hansen war empört. »Das war mein ganz persönliches Motiv, das niemanden etwas angeht.«
»Haben Sie Evaldsen das gesagt?«
»Nein«, antwortete Hansen leise. Er ahnte, dass Egge Evaldsen gehofft hatte, ihm und Gerda mit diesem Hinweis zu helfen. Aber ein Mann wie der Baron würde immer herauslesen, was er wollte.
Nachdem Cornelius Petersen die Mitglieder des Hauses auf den gleichen Wissensstand gebracht hatte, entließ er sie.
Sönke Hansen lief dem Baron nach, der wie eine Dampframme mit gesenktem Kopf aus dem Raum stampfte. Er stellte ihn auf dem Absatz vor der obersten Treppenstufe. »Herr Baron! Ist Ihnen klar, dass Sie durch Ihren Anruf im Rum-Kontor die Flucht des Prokurators veranlasst haben? Einer weniger, der sich für seine Verbrechen verantworten muss! Er gehört ins Zuchthaus!« Hansen war es gleich, dass alle ihn hören konnten.
»Pah«, blaffte von Holsten auf seine bekannte Art, »der Mann ist Däne, den hätten wir nicht belangen können, was also soll Ihre Anklage?«
»Ist das alles, was Sie dazu zu sagen haben?«, fragte Hansen ungläubig.
»Nein, keineswegs! Als Zweites verbiete ich Ihnen, noch ein einziges Mal im Namen der Kommission auf die Hallig zu reisen. Ein Vaterlandsverräter wie Sie kann nicht für ein preußisches Amt tätig sein!« Mit kerzengeradem Rücken stieg von Holsten die Treppen hinunter. Als der Baron das Wasserbauamt im weithin erkennbaren Bewusstsein seiner Rechtschaffenheit verlassen hatte, stand Sönke Hansen noch wie gelähmt auf der obersten Stufe.

Kapitel 26
Trotz allem war die Hallig genau der Ort, an dem die Vorarbeit der Kommission beendet werden musste. Erst jetzt konnte man alles abschließen, welchen Ausgang auch immer es nehmen würde.
Wer sollte fahren, wenn nicht Hansen? Aber jetzt, wo der Baron auf dem Weg nach Berlin war, um zu antichambrieren, würde Petersen sich auf eine offene Konfrontation mit ihm nicht einlassen.
Hansen sah nur eine einzige Möglichkeit. Am nächsten Tag suchte er Cornelius Petersen auf. »Ich möchte Urlaub einreichen.«
Petersen zuckte zusammen und musterte ihn dann aufmerksam. »Ich verstehe. Sie sehen sehr mitgenommen aus.«
»Ja?«, fragte Hansen verdutzt nach. Eigentlich hatte er am Morgen im Spiegel nur festgestellt, dass er etwas magerer geworden war. Petrine Godbersens Speckklöße und der sonntägliche gefüllte Schweinebraten hatten ihm gefehlt. Dann fiel ihm zu seiner Beruhigung ein, dass er an Geschwindigkeit beim Kraulen eindeutig zugelegt hatte.
»Ja, wirklich, Hansen. Das ist auch verständlich, denn die Anklage des Vaterlandsverrats wiegt schwer, wenn ein Oberdeichgraf sie ausspricht. Im Augenblick dürften Sie noch durch die Berühmtheit geschützt sein, die Sie sich erworben haben. Deshalb erholen Sie sich erst mal. Der Herr Baron ist jedoch unnachgiebig, wie uns gut bekannt ist, und weiß darüber hinaus alle Hebel zu bedienen.«
Von Holsten beabsichtigte offenbar, aufs Ganze zu gehen. »Leider«, seufzte Hansen.
»Andererseits ist der Oberdeichgraf sehr geschmeidig. Ich könnte mir vorstellen, dass sich alles als Missverständnis herausstellen würde in dem Augenblick, in dem wir von einem glücklichen Ende unserer Verhandlungen mit der Halligbevölkerung berichten É«
»Wenn Sie meinen, Herr Petersen É«
»Ich meine. Wie viele Tage Urlaub wollen Sie haben?«
Hansen wiegte den Kopf und dachte an die Wege, die auf der Hallig zurückzulegen waren, wenn er mehrmals zwischen Ipsen auf Ketelswarf und Friedrichsen auf Norderhörn hin und her pendeln müsste. Dann die abendlichen Zusammenkünfte É »Fünf, schätze ich.«
»Sie bekommen eine Woche, damit Sie nach der Erholung noch zwei Tage richtigen Urlaub im Grünen machen können. Ich nehme an, dass Sie sich ins Grüne begeben werden?« Petersen holte ein Formular aus dem Schreibtisch und begann zu schreiben.
»Aber ja doch. Außerordentlich grün«, sagte Hansen beklommen. Sein Verbleiben im Amt war mehr denn je mit seinem Erfolg auf der Hallig verknüpft.
Im Flur begegnete Hansen Aksel Andresen, der ihm mit ausgestreckter Hand entgegenkam. »Gratuliere, gratuliere«, sagte er. »Die Berichterstattung war großartig.«
»Zu dick aufgetragen. Ich habe deswegen schon meine Prügel bezogen.«
»Krusedullen! Es ist ein langweiliger Tod, von einem Gänserich totgetrampelt zu werden, wie wir in Tondern sagen. Du bist derjenige, der einen Mord aufgeklärt hat, dazu noch im Zusammenhang mit längst verbotenem Sklavenhandel, und dass du Neider hast, ist normal. Man muss sich eher Sorgen machen, wenn man nach einem solchen Erfolg keine Neider hat. Dann war es nämlich kein Erfolg, sondern Selbsttäuschung.«
Hansen grinste. »Klingt ermunternd.«
»Soll es auch. Ich werde dich im Auge behalten. Du wirst in der Hierarchie klettern. Auch ohne dass du dir eine Übernachtung in einem erstklassigen Hotel schenken lässt. Dabei fällt mir etwas ein, das ich dich fragen wollte.«
»Ja?« Hansen sah sich plötzlich einer ziemlich grimmigen Miene gegenüber.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 20.07.2005