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Pergament-Handschrift diente als Bucheinband

Alten Liborius-Text zum »Schnäppchenpreis« ersteigert

Von Manfred Stienecke (Text)
und Wolfram Brucks (Foto)
Paderborn (WB). In der Mitte geknickt, die Falz durchlöchert, die Vorderseite fleckig - dennoch ist eine fast 600 Jahre alte Liborius-Handschrift jetzt der ganze Stolz der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek in Paderborn.

Bei dem erst im vergangenen Monat auf einer Auktion zum »Schnäppchenpreis« von gerade einmal 200 Euro erworbenen Pergamentblatt handelt es sich um nur eine von vier vollständig erhaltenen Original-Handschriften des liturgischen Textes über den Bistumsheiligen Liborius. Das aus einem mittelalterlichen Messbuch heraus getrennte Einzelblatt enthält den kompletten lateinischen Gebetstext zum Tag des Heiligen Liborius, dem 23. Juli. Weltweit sind außer diesem Exemplar nur noch drei ältere vollständige Handschriften bekannt.
Liborius wirkte im vierten Jahrhundert als Bischof des französischen Bistums Le Mans. Seine Gebeine wurden 836 nach Paderborn überführt und ruhen seither in der Krypta des unter seinem Patronat stehenden Doms.
Zu verdanken ist der glückliche und zudem noch überaus preiswerte Fund dem Geschäftsführer der Paderborner Liborius-Gesellschaft und Libori-Experten Dr. Volker de Vry, der die Handschrift im Internet-Auktionshandel ausfindig machte. In einer Bietergemeinschaft mit der Erzbischöflichen Akademischen Bibliothek und dem Diözesanmuseum gelang der Ankauf des vermutlich aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammenden Pergaments mit farbig ausgemalten Anfangsbuchstaben.
Rätsel gibt bislang noch die Herkunft des Blattes auf. Da es im Nachlass eines Buchhändlers und Antiquitätensammlers aus dem münsterländischen Billerbeck gefunden wurde, vermuten de Vry und der stellvertretende Leiter der Akademischen Bibliothek, Dr. Hermann-Josef Schmalor, dort auch die einstige liturgische Verwendung. Offenbar wurde das Messbuch irgendwann auseinander genommen. Die Liborius-Seite könnte dann als Einband für ein kirchliches Taufregister verwendet worden sein. Auf der deutlich fleckigeren Vorderseite des in der Mitte geknickten Pergaments findet sich der nachträglich hinzugefügte Vermerk »1656-1662«.
Schmalor, in dessen Obhut das gute Stück nunmehr übergegangen ist, möchte mit genaueren Untersuchungen vor allem die Herkunft und die mögliche Vorlage der Handschrift klären lassen. Denkbar sei durchaus, dass die kostbare Tierhaut sogar älteren Datums und - wie im Mittelalter üblich - »rasiert«, also von einem früheren Text zwecks Neubeschriftung gesäubert worden sei.
Der jetzige leicht abgegriffene Zustand der historischen Handschrift soll aber erhalten bleiben. »Wir wollen die Geschichte nicht wegrestaurieren«, so Hermann-Josef Schmalor. »Der Knick und die Löcher sind das Schicksal des Blattes. Sie gehören einfach dazu.«

Artikel vom 05.07.2005