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Es klang nach Anerkennung, einer Anrede auf gleicher Augenhöhe. »Stimmt. Ich bin durch den Haderslev-Fjord gefahren«, bemerkte er leichthin.
»Und?«
»Da gab es Leute, die es nicht besonders gut fanden, dass ich mich an einer bestimmten Stelle umsehen wollte. Ich wurde angeschossen.«
»Kann ich mir denken«, bestätigte Andresen und blickte versonnen zum Sonnensegel hoch, auf dem der Schatten der Rauchfahne spielte. »Und jetzt?«
»Der Baron hat mir die Sache aus der Hand genommen, indem er sich im Rum-Kontor nach der Olivia erkundigte«, sagte Hansen zornig. »Jetzt muss ich auf der Stelle hin, um Nielsen und Christiansen mit den Tatsachen zu konfrontieren. Wenn sie merken, dass ihr verbrecherischer Handel aufgeflogen ist, werden sie damit aufhören.«
»Es ist immer gut, bei schwierigen Gesprächen einen Zeugen zu haben«, merkte Andresen an und nickte bedeutsam mit vorgeschobener Unterlippe.
Hansen sah ihn fragend an.
»Ich selber nehme manchmal meinen Hund mit. Einen großen Wolfshund. Aufmerksam. Verlässlich. Blendend weißes Gebiss. Schönen Tag noch, Hansen.« Andresen schlenderte mit den Händen in den Taschen seiner weißen Hose davon.
Sönke Hansen atmete ganz flach, während er ihm nachsah. Es war der dritte Rat, den er vom Dänen bekam. Schon der zweite war ausgezeichnet gewesen.
Entgegen seinem ursprünglichen Plan unterbrach Sönke Hansen seine Fahrt in Tondern. Lars Rasmussen war in seinen Augen der einzige Mensch, der als Wolfshund taugte und obendrein ein blendend weißes Gebiss besaß. Nur dass dieses bei einem Journalisten spitze Feder hieß.
Er erklärte Lars den Fall.
Lars' Gesicht wurde nachdenklicher, je mehr Hansen erzählte, und schließlich schüttelte er mit düsterer Miene den Kopf. »Ich kann nicht mitkommen, Sönke.«
»Warum nicht?«, fragte Hansen ungläubig. »Weil Nielsen Däne ist? Er ist ein Verbrecher!«
Rasmussen schlug mit der Faust auf den Tisch. »Habe ich bei Gaunern jemals zwischen Dänen und Deutschen unterschieden? Glaubst du das wirklich von mir?«
»Eben nicht«, antwortete Hansen aufgebracht. »Was also ist der Grund, Lars? Ist es, weil der Ratschlag vom Kapitalisten Andresen kam?«
Lars winkte uninteressiert ab.
»Aksel ist nicht nur ein Kapitalist, sondern auch ein Wohltäter«, sagte Ella, die sich in diesem Augenblick neben ihren Mann setzte. »Er unterhält das Armenhaus von Hojer! Lars weiß das.«
Hansen wunderte sich. Meistens pflegte Ella in Zeiten hitziger politischer Gespräche Kaffee zu kochen und leckere smørrebrød zu belegen, die erfahrungsgemäß besänftigend auf Streithähne wirkten.
»Du musst mir glauben, es geht nicht«, antwortete Rasmussen ausweichend.
»Dann erkläre mir den Grund«, verlangte Hansen.
Der Journalist schüttelte stumm den Kopf.
»Sag es ihm doch, Lars! Er wird nicht aufgeben, und das ist genau die Eigenschaft, die du so an Sönke schätzt.« Ella sah ihren Mann bittend an.
»Es wäre Vertrauensbruch«, behauptete Rasmussen eigensinnig. »Und zu viel steht auf dem Spiel.«
»Wem könntest du mehr vertrauen als Sönke?«
»Nein«, sagte Lars hart.
»Dann werde ich es ihm sagen«, entschied Ella mit blitzenden Augen. »Stefan Nielsens Rum-Kontor schleust Kinder von Optanten aus, wenn sie in Gefahr sind, der deutschen Obrigkeit in die Hände zu fallen.«
Sönke Hansen stockte der Atem. Es stimmte also! Der Tote musste der Sohn eines Optanten sein! Und Gerda war offenbar an Bord des Schiffes, auf dem ein Verbrechen verübt worden war! Fassungslos starrte er Lars an und vergrub dann sein Gesicht in den Händen.

In der Nacht quälte sich Sönke Hansen mit der Frage herum, ob er zugunsten der Fluchthilfe, die das Kontor leistete, den Mord auf sich beruhen lassen musste. Er entschied sich dagegen. Am nächsten Morgen reiste er ohne Rasmussen nach Flensburg ab.
An diesem Tag war das Rum-Kontor wie eine Festung verbarrikadiert. Hinter den zugezogenen Fensterläden war es still, und die kleine Pforte im Tor war verschlossen. Hansen klopfte laut und fordernd.
Als er nicht aufgab, rührte sich nach unendlicher Zeit im Haus etwas. »Wer ist da?«, fragte dicht hinter der Schlupftür die Stimme des Gehilfen. »Unser Geschäft ist heute wegen eines Trauerfalls geschlossen.«
Ganz bestimmt, dachte Hansen, es ist schon traurig, wenn ein lukratives Geschäft auffliegt. »Sönke Hansen. Ich muss mit Nils Christiansen sprechen.«
»Der Herr Prokurator ist verreist.«
»Dann mit demjenigen, der ihn verantwortlich vertritt«, verlangte Hansen bestimmt.
Es waren Schritte zu hören, die im Haus verklangen. Hansen lauschte mit vibrierenden Nerven. Was sollte er tun, wenn sie ihn vor der Tür stehen ließen?
Er besaß keine Möglichkeit, sich den Zugang zu erzwingen. Und auf einer beliebigen Policey-Station seine Vermutungen zu Protokoll zu geben, in der Hoffnung, anschließend zu einem Beamten gebracht zu werden, der schon mal etwas vom nicht mehr existierenden Sklavenhandel gehört hatte, war eine geradezu irrwitzige Vorstellung. Er befände sich im Handumdrehen in der Irrenanstalt von Schleswig.
Die Riegel an der Tür wurden hörbar zurückgeschlagen. In der Tür erschien ein jungenhaft wirkender Mann im weißen Gesellschaftsanzug, der Hansen die Hand entgegenstreckte.
»Ich bin Stefan Nielsen«, sagte er entgegenkommend. »Womit kann ich Ihnen helfen?«

Kapitel 24
S
önke Hansen hatte sich Stefan Nielsen ganz anders vorgestellt. Weniger liebenswürdig und auf den ersten Blick sympathisch. Während er ihm in die Geschäftsräume folgte, versuchte er, seine plötzliche Unsicherheit zu überwinden. War es nicht sogar möglich, dass Nielsen nichts von dem wusste, was sein Prokurator trieb?
Hinter der ledergepolsterten Tür von Nielsens Büro herrschte eine schwüle Atmosphäre, die in auffallendem Gegensatz zu der nüchternen Möblierung der übrigen Geschäftsräume stand. Die dunkelgrünen, schweren Samtvorhänge wirkten, obwohl aufgezogen, bedrückend. Als Nielsen sich hinter seinem Mahagonischreibtisch niederließ, raschelte eine Palme auf einem Blumenständer, als habe man sie schon lange zu gießen vergessen.
Nielsen bot Hansen eine fast schwarze Zigarre an, die dieser dankend ablehnte, zog sie unter der Nase durch und zündete sie an. Er war nur ein Jahr älter als Hansen, und trotzdem waren, von nahem betrachtet, seine Gesichtszüge schlaff und ungesund. Seine Gesten machten zuweilen einen gekünstelten Eindruck.
Der Rumfabrikant lehnte sich in seinem Sessel zurück, nachdem er einige kurze Züge gepafft hatte, und blickte Hansen an. »Nun sagen Sie offen, was Sie mit solcher Dringlichkeit zu mir führt«, forderte er Hansen wohlwollend auf. »Eine Spende? Oder wollen Sie einen Verein gründen und ersuchen um Protektion? Lassen Sie hören.«
Der Laufbursche hatte ihn offenbar nicht in Kenntnis gesetzt, stellte Hansen verblüfft fest. War das ein Indiz dafür, dass Nielsen tatsächlich keine Ahnung hatte? Er beschloss, mit Bedacht vorzugehen. »Im Gegenteil, Herr Nielsen«, sagte er distanziert. »Es geht um die Olivia, auf die wegen möglicher Beteiligung an illegalen Geschäften Verdacht gefallen ist. Ich nehme an, dass Sie über den Anruf des Barons von Holsten in Kenntnis gesetzt wurden. Ich selber wurde als Mitarbeiter des Wasserbauamtes Husum damit konfrontiert. Herrn Christiansens Anwesenheit bei unserer Unterredung wäre dringend erforderlich.«
»Dann werden Sie bis zum Winter warten müssen. Mein Prokurator befindet sich auf einer längeren Auslandsreise«, sagte Nielsen kühl und stieß elegant einen perfekten Rauchring in die Luft.
»Seitdem er den Anruf erhielt? Er ist also abgetaucht.« Genau das, was Hansen befürchtet hatte.
»Eine lange geplante Reise«, ergänzte Nielsen uninteressiert.
»Gut«, sagte Hansen entschlossen, »dann müssen wir eben ohne Herrn Christiansen zum Thema kommen. Ihr Kontor führt den von allen Ländern inzwischen geächteten und aufgegebenen atlantischen Dreieckshandel weiter. Sie exportieren auf der Olivia Gewehre aus Ihrer eigenen Fabrik nach Guinea in Westafrika und tauschen diese gegen Schwarze ein, die Sie nach Brasilien verschiffen, wo Sklaven auf den Kaffeeplantagen so dringend benötigt werden wie in Ihrer Fabrik Wasser für die Hammermühle.«
Nielsen paffte ungerührt weiter. »Interessante Darstellung«, erwiderte er nach einer Weile. »Die Gewehre, die Sie meinen, werden nicht gehandelt, die sind für meine eigenen Plantagen bestimmt. Schwarze, auch wenn sie entlohnt werden, neigen zu Aufständen. Meine Familie hat mit diesen Leuten Erfahrung, und meine Aufseher sind deshalb grundsätzlich bewaffnet. Die Olivia habe ich vor mehreren Jahren verkauft, wohin sie außer nach Westindien fährt, ist mir unbekannt.«
»Verkauft an Ihren Prokurator, ich weiß«, sagte Hansen. »Sind Sie darüber informiert, dass es auf der Olivia kürzlich einen Mord gegeben hat? (wird fortgesetzt)

Artikel vom 15.07.2005