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Aber der ist gestern nach Husum gesegelt, um Krabben auszuliefern. Heute müsste er zurückkommen, Wetter und Gezeiten passen. Aber komm erst einmal herein, damit wir dich trockenlegen können. Ich bin Magda Steffensen.«
Hansen folgte ihr schmunzelnd durch eine kleine Kinderschar, die im Flur spielte. Er besorgte das Trockenlegen mit einem groben Leintuch lieber selbst, während die Hausfrau ihm dampfenden Tee auf den Tisch stellte.
Er ließ sich auf einem Hocker nieder, legte die Hände um die blau gemusterte Tasse, um sich zu wärmen, was an diesem kühlen Tag gut tat, und fühlte sich wie bei einer langjährigen Nachbarin, bei der er oft ein und aus ging.
»Um einen Tag verpasst. Die weite Fahrt hättest du gut sparen können«, sagte Magda kopfschüttelnd.
Hansen sah hoch. »So weit ist es wieder nicht. Ich bin ja sowieso dauernd unterwegs. Wer weiß, wofür es gut ist.«
»So kann man es auch sehen.« Sie setzte sich zu Hansen und goss sich selber eine Tasse ein. »Knud fängt nicht nur Krabben«, erzählte sie belustigt. »Willst du mal sehen, was er vor ein paar Tagen nach Hause gebracht hat?«
»Gerne«, sagte Hansen. Wenn es dazu taugte, ihm die Zeit zu vertreiben, war es in Ordnung. Er war entschlossen, auf Knud zu warten.
»Dann komm mal mit.« Magda Steffensen federte in die Höhe.
Sie war offenbar eine resolute, an allem interessierte Frau. Hansen trank schnell aus und folgte ihr in den Stall, in dem sich mehrere Hühner befanden, dazu allerlei Gerät, das ein Fischer benötigte. Magda ging schnurstracks in eine nicht benutzte Kälberbox, zerrte einen rotweißen Rettungsring von fast einem Meter Durchmesser zwischen Netzen heraus und hielt ihn in die Höhe, damit Hansen ihn sehen konnte.
»Von einem Großsegler, sagt Knud. Nicht so prächtig und nützlich wie ein Beiboot, aber immerhin kann ich daraus eine Schaukel für die Kinder machen«, sagte sie zufrieden.
»Einen Augenblick mal«, hinderte Hansen sie daran, ihn wieder zurückzulegen, und drehte den Kopf mit der umlaufenden schwarzen Schrift. »Olivia, Baagoe«, las er laut. Sein Herz machte einen Hopser. »Wo hat Knud denn den aufgefischt?«
»Oh, das weiß ich auch nicht. Aber er wird wohl gefischt haben, wo er immer fischt.«
Hansen grinste. »Dann weiß ich Bescheid. Ich war ja mit ihm draußen.«
»Er hat sogar deine Fähigkeit, ohne Übung eine Quatsche zu steuern, gelobt«, behauptete Magda in einem Ton, als könne sie es immer noch nicht glauben. »Du bist begabt, sagt er.«
Sönke Hansen hörte ihre Stimme wie aus weiter Ferne. Wie viele dänische Schiffe mochte es geben, die Olivia hießen, ein Name, der aus dem Süden stammte und gut zu einem Sklavenschiff passen konnte? Baagö war seines Wissens die dänische Insel, die der Einfahrt in den Haderslev-Fjord am nächsten lag. Ein erstes, hoffnungsvolles Indiz. Außerdem lieferte ein Rettungsring die Erklärung dafür, weshalb es so lange gedauert hatte, bis der Schwerverletzte auf Nordmarsch angekommen war. Als er die Bake verlassen hatte, war er vermutlich noch mehrere Stunden lebend in der See getrieben.
Draußen vor dem Stall gab es ein Geräusch. Der Hund stimmte ein freudiges Gebell an. Gleich darauf stand Knud in der Stalltür.

Steffensen war nicht übermäßig überrascht. Aus seiner Joppe kramte er einen Brief hervor, den er Hansen übergab. »Deine Haushälterin hat Verstand«, lobte er. »Hausfrauen wissen, dass wir Fischer an der Südtreppe bei der Zingelschleuse verkaufen. Sie kam gelaufen, um nach jemandem Ausschau zu halten, der nach Hooge wollte. Und da bin ich.«
»Danke, Postschiffer«, sagte Hansen grinsend und riss den Brief auf, eine weitere Nachricht des Kapitänleutnants von Frechen. Die Olivia sei kürzlich vor Helgoland gesichtet worden, schrieb er, der Kapitän heiße Manoel Gomes de Sousa und sei Portugiese. Die Namen der Mannschaftsmitglieder seien unbekannt, was merkwürdig sei, außerdem seien sie auffallend wenig, eher eine Rumpfmannschaft von der Art, mit der man Schiffe bei einer Überführung bemanne. Das Merkwürdigste aber sei, dass niemand wisse, wo sie sich gegenwärtig aufhalte, sie habe sich unterwegs nirgendwo gemeldet. In der Annahme, es handele sich um die gesuchte Olivia, habe er sich mit Baron von Holsten ins Benehmen gesetzt, der sich mit den Nielsens bestens auskenne.
Von Holsten wiederum habe sich entschlossen, mit dem Flensburger Rum-Kontor zu telefonieren, um dem Verantwortlichen, bei allem Respekt, die Schlamperei hinsichtlich der versäumten Positionsmeldung mitzuteilen. Bedauerlicherweise sei Stefan Nielsen nicht anwesend gewesen, und so habe er Nils Christiansen die Sache erklärt, aber der habe über das Schiff nicht das Geringste gewusst.
»Mist!«, rief Hansen aufgebracht. »Diese Kerle von der Kommission verderben wirklich alles! Vor allem der Baron!«
»Ein Holsteiner Baron?«
Hansen lachte düster. »Genau. Holsteiner und Baron. Muss ein schlimmes Schicksal sein.«
»Aber Sönke! Man darf Menschen nicht nach ihrer Herkunft beurteilen«, tadelte Magda. »Und selbst ein Baron ist ein Mensch.«
»Kennst du ihn?«, fragte Hansen sarkastisch und drängte sich an Knud vorbei, um frische Luft zu schnappen. Von Holsten konnte in seiner Überheblichkeit alle Chancen durchkreuzt haben, dem Verbrecherpaar das Handwerk zu legen.
Denn das waren sie. Stefan Nielsen und Nils Christiansen waren offensichtlich zwei Männer, die den Dreieckshandel fortführten, als ob nicht sämtliche europäischen Staaten übereingekommen wären, ihn im Namen der Menschlichkeit zu beenden.
»Tja, dann fahre ich mal wieder«, sagte Hansen zerstreut und drehte sich zu Steffensen um, der ihm gefolgt war. »Irgendjemand wird mich wohl irgendwohin mitnehmen, von wo ich zum Festland komme.«
»Bestimmt«, sagte Steffensen trocken. »Wenn du das nächste Mal meine Frau besuchen möchtest, gib mir einfach Bescheid, dann haue ich freiwillig ab.«
Hansen blinzelte verblüfft, dann begriff er. »Über den Baron habe ich ganz vergessen, weshalb ich gekommen bin.«
»Genau das meinte ich«, bemerkte der Fischer friedfertig.
Grinsend zog Hansen die Zeichnungen der Olivia aus seiner Innentasche und rollte sie auf. »Könnte dieses das Schiff sein, das bei der Seesand-Bake festgekommen war, Knud?«
Steffensen betrachtete interessiert die beiden Zeichnungen, dann zeigte er auf die eine. »Dieses war es. Die Masttopps konnte ich bei dem unsichtigen Wetter nicht erkennen, nur dass die Masten hoch waren. Ein Schornstein war nicht da. Er stand dem Schiff, als es noch ein Dampfer war, gut, das muss man schon sagen. Aber die haben aus einem bildschönen Dampfer einen potthässlichen Segler gemacht.«
»Nicht wahr?«, bekräftigte Hansen und ging zufrieden seiner Wege.

Damit schien alles klar. Der Tote auf Nordmarsch musste von der Olivia gekommen sein.
Der Haken war: Es waren alles nur Vermutungen und Schlussfolgerungen. Zwar war der Rettungsring ein Beweis dafür, dass ein Schiff namens Olivia dieses Gebiet durchfahren hatte, aber war die Olivia von Baagö wirklich identisch mit der Olivia von Flensburg? Und wann war der Ring verloren gegangen?
Sönke Hansen konnte es trotzdem kaum erwarten, Nielsen und Christiansen mit dem Ergebnis seiner Ermittlungen zu konfrontieren. Während er den schon beim ersten Schluck scheußlich schmeckenden Kaffee aus der kleinen Kombüse des Dampfers an Deck trug, um sich einen Deckstuhl zu suchen, überlegte er, ob sie Ehrenmänner genug sein würden, um alles zuzugeben. Bedauerlicherweise hatten sie dank des voreiligen Handelns des Barons Zeit, sich Erklärungen und Ausflüchte auszudenken.
Eine Menge Fragen waren noch offen. Warum hatte der Tote den Sklavenhalsring mitgenommen? Hatte er ihn zufällig gefunden und gleich als einen Gegenstand erkannt, der noch in Gebrauch war? Und wie war er an das Geschoss geraten? Hatte er die Waffenkisten entdeckt? Wieso hatte er gewusst, dass sie in den Ballasttanks versteckt waren? Oder waren sie erst später umgeladen worden? Immerhin schlossen das Geschoss und der Halsring zusammen jeden Zufall aus. Der Mann hatte gewusst, was er gefunden hatte.
Eigentlich konnte man sich kaum vorstellen, dass ein Passagier auf einem ehemaligen Postdampfer, der Kabinen und einen Salon zu haben pflegte, in den Laderäumen umherspazieren durfte. Aber wenig sprach dafür, dass er zur Mannschaft gehörte.
War er ein Optantensohn gewesen?
»Moin, Hansen«, sagte jemand mit dänischem Akzent, und Hansen fuhr in die Höhe.
»Anscheinend war ich eingeschlafen«, sagte er verlegen.
»Wer hart arbeitet, darf das«, bemerkte Aksel Andresen und lehnte sich gegen die Reling. »Und ich habe das Gefühl, dass du zu diesen Leuten gehörst.«
Sönke Hansen überlegte, ob er sich gegen das Du verwahren sollte, aber er entschied sich dagegen. Denn obwohl Andresen Deutsch sprach, war es ein dänisches Du, anders als ein deutsches, aber auch anders als ein deutsches Sie. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 14.07.2005