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Leitartikel
Erschreckend hilflos

Starrer Blick der starken Männer


Von Reinhard Brockmann
Schwarze und Weiße, Christen und Moslems, Junge und Alte: Das sind die Opfer des Massenmords von London.
Nur so und nur aus diesem Blickwinkel sind die menschenverachtenden Terroranschläge auf die U-Bahn und auf einen Linienbus in London-City zu betrachten.
Jede politische Erklärung vom Terror in Irak und Afghanistan bis zur undifferenzierten Klage über die Ungerechtigkeit der Welt verbietet sich. Auch wenn genau diese Themen im Blickpunkt beim G8-Gipfel in Schottland stehen, können nur krude Köpfe glauben, mit Toten und Verletzten die Staatschefs dieser Welt zu einer anderen (zu welcher?) Politik zu bringen.
Die Hydra terroristischer Bedrohung hebt immer wieder neue Köpfe aus dem Abgrund einer Mordseele. Wie einst die Assassinen aus den Tiefen Asiens fallen in erschreckender Folge zu allem entschlossene Kämpfer über Metropolen wie New York, Madrid, Istanbul und jetzt über London her. Deutschland und sein Fußballfest 2006 rücken nun automatisch auf die ungeschriebene Liste möglicher Bedrohungziele.
Es gelingt einfach nicht, das Netzwerk des Terrors zu zerschlagen. El Kaida ist, soviel ist sicher, kein zentralistisch straffes System, geführt von einem »Alten vom Berge« namens Osama bin Laden in den Höhlen des Hindukusch. »El Kaida« wurde mit dem 11. September 2001 zum selbst gewählten Sammelnamen blutrünstiger Weltverbesserer. Sie behaupten, im Namen des Propheten einen Kreuzzug gegen den Westen zu führen. Und: Sie definieren sich allein über ihr Handeln.
Wer immer irgendwo in der Welt im Namen Allahs Bomben wirft, womöglich sich selbst als »Märtyrer« mit Sprengstoff am Leib unter Unschuldige mischt, der darf sich dazu zählen - zum weltweiten Geheimbund der fanatischten Islamisten. Das Internet und die indirekte Bestätigung ihres Handelns durch mediale Beachtung sind die Folie, auf der die Anhänger Osama bin Ladens sich gegenseitig beeindrucken und zu immer neuen Untaten anstacheln.
Die »Geheimgruppe des Dschihad der El Kaida in Europa« muss nicht einmal mit Afghanistan telefoniert haben, um jetzt dazu zugehören. Deshalb ist auch das sowieso unmögliche Kontrollieren aller Kommunikationslinien zwecklos - vom Telefon bis zum verschlüsselten Internet-Chat.
Diese quasi strukturlose Kriegsführung entschlossener Kämpfer stellt die Sicherheitsdienste vor eine letztlich unlösbare Aufgabe. Polizei, Militärs und traditionelle Geheimdienste haben keine wirkliche Chance gegen Selbstmordattentäter. Sie benutzen inzwischen weltweit und nicht mehr allein in Tel Aviv Linienbusse, die sie in tausdend Stücke jagen.
Deshalb ist das Erschrecken so groß, deshalb fällt es den Staatsmännern so schwer, überhaupt noch die Fassung zu bewahren. Wenn Blair, Bush und Co. vor die Kameras treten, müssen sie der Öffentlichkeit eine Sicherheit versprechen und beschwören, die es in Wahrheit nicht mehr gibt.

Artikel vom 08.07.2005