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Körper als Ausdruck des Ursprünglichen

Riefenstahl und Streicher in einer Gegenüberstellung

Von Uta Jostwerner
Bielefeld (WB). Die internationale Kunstelite gibt sich derzeit in Bielefeld nur so die Klinke in die Hand: Wenige Tage nachdem der New Yorker Maler George Condo die Kunsthalle mit einem Besuch beehrte, ließ es sich auch der kanadische Installationskünstler Max Streicher (44) nicht nehmen, der Einladung Alexander Baumgartes Folge zu leisten und zur Eröffnung einer bemerkenswerten Ausstellung zu kommen.

Die Samuelis Baumgarte Galerie präsentiert Streichers raumgreifende Objekte in einer Gegenüberstellung zu den Arbeiten der 2003 verstorbenen Fotografin und Film-Regisseurin Leni Riefenstahl. Der gemeinsame Nenner beider Künstler liegt für Galerist Baumgarte nicht nur in der Genialität, vielmehr verdichte sich sowohl im Werk der Fotografin als auch in den atmenden Körpern des Kanadiers die Suche nach Ursprünglichkeit, sagte Alexander Baumgarte bei der Vernissage, die am Samstag mehrere Hundert Kunst- und Kulturinteressierte anzog.
Max Streichers aufblasbare Körper führen auf ebenso eindringliche wie poetische Weise den Lebenszyklus von Werden und Vergehen vor Augen. Aus weißem Kunststoff näht Streicher in monatelanger Arbeit detailreiche menschliche Körper. Sie entstehen jeweils im Double und sind durch einen Luftkanal miteinander verbunden. Wächst ein Körper unter einströmender Luft zu praller Fülle heran, fällt der andere in sich zusammen. Auf diese Weise entsteht ein bizarres Wechselspiel, das zugleich auf die Umgebung einwirkt. Seine Objekte sind nicht starr, sondern sie verändern sich ständig im Raum und erzeugen Interaktion mit ihrer Umwelt und dem Betrachter.
Weltweit hat Streicher verschiedene Orte und Gebäude mit seinen atmenden Plastiken in ein neues Spannungsfeld zum Betrachter gerückt. Seine Arbeiten werden in internationalen Galerien, Kunstvereinen und Museen präsentiert und auf den bedeutendsten Kunstmessen ausgestellt.
Der Körper als Ausdruck des Ursprünglichen begegnet uns auch im Werk Leni Riefenstahls, die noch im Alter von 70 Jahren strapaziöse Reisen auf sich nahm, um eine Zeit bei dem sudanesischen Ureinwohnerstamm der Nuba zu verbringen. Sie erlernte deren Sprache und erlangte das Vertrauen des Stammes, der weitgehend noch nicht mit westlich geprägter Zivilisation in Berührung gekommen war. Die entstandenen Fotoserien sind nicht nur Ausdruck einer ästhetischen und handwerklich erstklassigen Fotokunst, sie werfen auch einen eindrucksvollen Blick auf das Leben und die Bräuche eines Stammes, der in dieser Ursprünglichkeit heute nicht mehr existiert.
Von Leni Riefenstahl zeigt Baumgarte noch Ausschnitte aus den Unterwasserwelten sowie den geschlossenen Zyklus »Olympia«. Die 1936 anlässlich der olympischen Spiele entstandenen Fotos heben Sportaufnahmen auf die Ebene der Kunst und zelebrieren mit Bildern die Schönheit menschlicher Bewegung und Kraft. Zentral ist dabei die Verherrlichung des Körperlichen.
Für ihre Nähe zum Nationalsozialismus wurde Riefenstahl zeitlebens kritisiert. Vornehmlich in Deutschland stieß die vielseitige Künstlerin, deren künstlerische Verdienste unbestritten sind, nach dem Zweiten Weltkrieg auf Ablehnung.
»Man sollte das nicht unter den Teppich kehren, sondern sich damit auseinander setzen«, sprach sich Hannelore Hoger für die Ausstellung aus. Die bekannte Film- und Theaterschauspielerin begleitete die Eröffnung mit einer Lesung über Leni Riefenstahl, derweil die Opernsängerin Melanie Loll und der Pianist Ulrich Cippelios die Vernissage musikalisch umrahmten.
Die Ausstellung läuft bis zum 30. August und kann montags bis freitags von 10 bis 18 Uhr und samstags von 10 bis 14 Uhr besucht werden.

Artikel vom 04.07.2005