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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Dr. Dr. Markus Jacobs


»Alle Menschen sind Ausländer, fast überall.« Mit Sprüchen wie diesem versuchen schon seit vielen Jahren weit blickende Zeitgenossen dem Reden über Ausländer in der Bundesrepublik die Spitze zu nehmen. Solche Sätze allein überzeugen aber jene offensichtlich nicht, die Sorge haben, zu viele Fremde würden ihrem eigenen Wohl schaden.
Wenn Sie als Leserin oder Leser dieser Zeitung Christ sind oder Jude oder Muslim, dann sollte ihnen die Person des Abraham nicht gleichgültig sein. Denn Abraham ist für Christen ein sehr wichtiges Vorbild des Glaubens, für Juden sogar der Stammvater ihres ganzen Volkes. Aber auch Muslime erblicken in ihm den Begründer des Kultes um die Kaaba und den Stammvater jener ismaelitischen Volksgruppe, aus der laut Mohammed dann die wahren Verehrer Allahs hervorgegangen sind.
Dieser Abraham aber war fast sein ganzes Lebens lang eines ganz sicher: Ausländer! Dafür ge-rade ist er uns Christen sogar Vorbild des Glaubens geworden. Gerade Paulus spricht unent-wegt dieses wichtige Vorzeichen im Leben Abrahams an: Abraham hatte nämlich seine Heimat verlassen und war - relativ mittellos - aus dem Gebiet des heutigen Irak bis in jene Gebiete am Mittelmeer gezogen, die wir heute zumeist als israelisch bezeichnen.
Zur Enttäuschung jedes Juden muss jedoch daran erinnert werden, dass dieses Land auch zu diesem Zeitpunkt leider nicht mehr menschenleer war. Sondern es wohnten dort Kanaaniter und Hethiter. Abraham war also Ausländer auf diesem Boden Palästinas. Erst kurz vor seinem Lebensende, genauer nach dem Tod seiner Frau erwarb er das erste kleine Stückchen eigenes Land von einem einheimischen Hethiter (Gen 23). Der wird es ihm größtenteils sogar nur aus Pietät vermacht haben, denn Abraham hätte sonst nicht einmal seine Frau Sarah beerdigen können.
Wer gemeint hätte, dass Abraham aus Dankbarkeit nur noch hethitisch gesprochen und sich einzig um Integration bemüht hätte, sieht sich getäuscht. Statt dessen macht er sich angesichts seines vorgerückten Alters sogar Sorgen um die zukünftige Integration seines noch jungen Sohnes. Deshalb nimmt er seinem Verwalter unter Eid das Versprechen ab, dass er auf keinen Fall eine Heirat zwischen Isaak und einer Frau aus der Umgebung zulasse, sondern in einer Art Familienzusammenführung die zukünftige Frau für seinen Sohn nochmals aus der Heimat nachhole (Gen 24).
Halten wir im Nacherzählen dieser Begebenheiten inne: Jedem aufmerksamen Beobachter fällt auf, dass hier sehr aktuelle Bezüge entstehen. Sie halten keine einfachen Handlungsanweisun-gen bereit. Aber mit gewisser geistlicher Gelassenheit darf man etwas nachdenklich werden und sagen: Kein Christ kann auf die Theologie des Paulus zurückgreifen und mit ihm das Ver-trauen von Abraham in Gott lobend anerkennen, ohne auch sein lebenslanges Ausländersein zu bejahen. Denn das gläubige Vertrauen Abrahams bestand ja genau darin, seine Heimat und de-ren Sicherheiten zu verlassen und allein mit Gottes Führung ein neues Leben in einem fremden Land zu beginnen.
Kein Jude dürfte sich auf Abraham berufen, dem Gott eine neue Heimat im gelobten Land ver-heißen hatte, wenn er dabei gleichzeitig irgendeiner anderen Volksgruppe das Lebensrecht dort absprechen möchte. Die radikalen Siedler im Jordanland treten die Erinnerung an Abraham mit Füßen. Denn er selbst war Fremder und fand höchstens gastfreundliche Aufnahme.
Wenn schließlich gerade muslimische Ausländer in der Bundesrepublik häufig ihre Familie nachholen möchten oder von einem Besuch in der Heimat die neue Ehefrau mitbringen, so äh-nelt dies sehr dem Wunsch des Stammvaters der drei großen monotheistischen Religionen. Denn die Vergewisserung in den eigenen Wurzeln war etwas, was auch Abraham seinem Sohn Isaak ermöglichen wollte.

Artikel vom 02.07.2005