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»Ernte in die Scheuer fahren«

Hanns Klasing feiert Sonntag 90. Geburtstag - Verleger und Autor

Von Gerhard Hülsegge (Text)
und Bernhard Pierel (Foto)
Bielefeld (WB). Er war Buchhändler zur See, hat dem Kaiser die Hand geschüttelt und war mit Lale Andersen (»Lili Marleen«) gut bekannt. Als Soldat musste er 18 Kilometer vor Moskau den Rückzug antreten. Als Verleger machte er sich nach dem Krieg einen Namen. Diesen Sonntag, 3. Juli, feiert Hanns Klasing in Bielefeld seinen 90. Geburtstag.

»Der Tag wird mir nicht lang«, sagt der letzte noch lebende ehemalige Teilhaber der Firma Velhagen & Klasing. Und bahnt sich mit dem Rollator seinen Weg zum gemütlichen Sessel. Das alte Röhren-Radio ist nur Staffage, »beherbergte früher mal ein Gramophon«, wie der »Grand Seigneur« des Buchgeschäfts, der 1950 seinen eigenen Verlag gründete, beiläufig erklärt. Bis zum 85. Lebensjahr hat er kein Krankenhaus von innen gesehen. 2003 kam die Hüftgelenk-OP. Dann die Haushaltshilfe.
Das Haus an der Kiskerstraße verlässt Hanns Klasing zwar nur noch selten. »Im Kopf bin ich aber noch ganz in Ordnung«, versichert der frühere Sachverständige für Briefmarken der Industrie- und Handelskammer Ostwestfalen. Und man zögert nicht, ihm zu glauben. Die Augen verraten: Der Verstand ist immer noch hellwach. Um das Gehirn zu trainieren, hat er unter anderem alle Weihnachtslieder auswendig gelernt. Der Ehren- und Rechtsritter des Johanniterordens weiß seinen Alltag zu organisieren. Hilfe per Knopfdruck - das ist für ihn so selbstverständlich wie die Inanspruchnahme mobiler Hilfsdienste und der ambulanten Versorgung durch das benachbarte Franziskus-Hospital.
Hanns Klasing denkt positiv. Sein Motto: »Ich jammere nicht über das, was ich nicht mehr, sondern freue mich über das, was ich noch kann.« Gut: Dass er im Moment nur drei TV-Sender empfangen kann, ärgert ihn schon. Wegen der Krimis. Andererseits widmet sich der in Soest bei einem evangelischen Landpastor aufgewachsene Wirtschaftswunder-Knabe sowieso lieber den eigenen »Memoiren«.
»Wenn man älter wird«, so sagt Klasing, »hat man das Bestreben, die Ernte in die Scheuer zu fahren«. Für ihn heißt das, sich weiter publizistisch zu betätigen, die wechselvolle und zum Teil auch abenteuerliche Familiengeschichte aufzuschreiben. Um die Augen zu schonen, spricht er in ein Diktiergerät. Ehefrau Renate starb 2001. Tochter Sabine (45), Krankenschwester in der Eifel und eines von drei Kindern, nimmt die Bänder, wenn sie ihren Vater besucht, mit und bringt die Texte zu Papier. Die Familien-Stiftung finanziert den Druck.
Eine ganze Reihe von Büchern über die »Sippe Clausing aus Westkilver Nr. 42« ist auf diese Weise seit 20 Jahren bereits nach und nach erschienen. Hanns Klasing verwaltet den Klasing'schen Familien-Nachlass als Teil des Stadtarchivs. Oder wie er es ausdrückt: »Es ist in unserem Besitz, andere putzen den Staub.«

Artikel vom 02.07.2005