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Straßburg: Enteignung war rechtens

Gericht weist jetzt auch die Ansprüche ehemaliger DDR-Bürger zurück

Straßburg (dpa). Die entschädigungslose Landenteignung der Erben von 70 000 DDR-Bauern nach der Wiedervereinigung war rechtens. Das hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte gestern in letzter Instanz entschieden.Wütende Proteste, verständlich, aber in Straßburg überhört.

Dem Bund und den neuen Ländern bleiben damit Entschädigungen in Milliardenhöhe beziehungsweise die Rückgabe von 100 000 Hektar Bodenreformland erspart. Mit dem Urteil zog das Straßburger Gericht einen Schlussstrich unter ein umstrittenes Erbe deutsch-deutscher Geschichte.
In früheren Verfahren waren schon Ansprüche auf zwei Millionen Hektar unbewohnter Flächer von Alteigentümern, die zwischen 1945 und 1949 ihre Habe verloren, für nichtig erklärt worden.
Das Gericht entschied, vor dem einmaligen Hintergrund der Wiedervereinigung habe der bundesdeutsche Gesetzgeber 1992 mit den Enteignungen eine gerechte Abwägung zwischen dem Schutz des Eigentums und dem Allgemeininteresse vorgenommen, obwohl er den Betroffenen keinen finanziellen Ausgleich zusprach. 70 000 Erben der so genannten Neubauern mussten ihr aus der Bodenreform stammendes Land nach 1992 an die Bundesländer abtreten, wenn sie es im März 1990 nicht mehr landwirtschaftlich nutzten.
Die Große Kammer des Gerichtshofes wies mit dem Urteil eine Beschwerde von fünf ostdeutschen Klägern zurück, die ihre Grundstücke nach 1992 verloren. Sie hatten Deutschland vorgeworfen, mit der entschädigungslosen Enteignung gegen das Recht auf Schutz des Eigentums verstoßen zu haben.
Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) sagte: »Ich bin froh, dass wir nun eine endgültige Entscheidung haben - auch wenn das Ergebnis sicher für manchen nicht einfach zu akzeptieren ist.« Der Vorsitzende der Aktionsgemeinschaft Recht und Eigentum, Manfred Graf von Schwerin, sagte, er sei entsetzt. Möglich sei nun, zum Wahlboykott in großem Stil aufzurufen.
Das Verfahren hat eine lange Vorgeschichte, die 1945 mit der Bodenreform in der sowjetisch besetzten Zone begann. Damals wurden Großgrundbesitzer enteignet. Das Land wurde in kleinen Flächen von bis zu zehn Hektar zur landwirtschaftlichen Nutzung an die so genannten Neubauern verteilt. Unter der Regierung des letzten SED-Ministerpräsidenten Hans Modrow machte die DDR-Volkskammer die Erben der Neubauern 1990 zu Volleigentümern ihrer Grundstücke. Dieses so genannte Modrow-Gesetz wurde zwei Jahre später wieder gekippt.

Artikel vom 01.07.2005