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Kaliningrad feiert Königsberg

Gründung im Jahr 1255 durch Deutschen Orden -ÊFest ohne Nachbarn

Von Bernhard Hertlein
Kaliningrad (WB). Kaliningrad feiert den 750. Geburtstag Königsbergs - einer Stadt, die es nach russischer Lesart seit 60 Jahren nicht mehr gibt. Bestätigt wird der Untergang von Königsberg durch den äußeren Anschein: Die meisten einst das Stadtbild prägenden Gebäude sind zerstört, der Ziegelstein durch Betonplatten ersetzt.

Merkwürdiges geschah bei der Vorbereitung des Geburtstages, den Moskau am liebsten schweigend übergangen hätte. Es war wohl der hartnäckige Wille der Kaliningrader und die Fürsprache Gerhard Schröders, die Russlands Präsident Wladimir Putin umgestimmt hat. Nun wird an diesem Wochenende doch groß gefeiert, mit historischem Umzug und Jahrmarkt, Theater und Konzerten. Putin und Schröder und sogar Jacques Chirac kommen. Nur die Staatschefs der nächsten Nachbarn, Polen und Litauen, sind nicht eingeladen.
Noch ein anderer soll nicht zugegen sein: Lenin. Das acht Meter hohe Denkmal auf dem Siegesplatz (früher Hansaplatz) wurde abmontiert. Es heißt, Putin möchte nicht unter ihm die Festrede halten. Stattdessen steht jetzt am Rande des Siegesplatzes die neue Erlöserkirche. Und in der Mitte wurde ein goldener Stern eingelassen, mit der Aufschrift: »750 Jahre Kaliningrad«. Michail Kalinin, Staatsoberhaupt und Stalins rechte Hand bei der Organisation der Gulags, ist seit 59 Jahren tot. Sein Denkmal steht noch, kaum beachtet, vor dem Bahnhof.
Gegründet wurde Königsberg 1255 von deutschen Ordensrittern, die zur Bekämpfung nichtchristlicher Pruzzen ans Frische Haff gezogen waren. Nach ihrem böhmischen Heerführer Ottokar II. nannten sie die Burg »Conigsberg«. Während der folgenden 690 Jahre war die Stadt an der Pregel größtenteils deutsch, während des siebenjährigen Krieges unterbrochen durch russische Besatzung. Zuvor war Friedrich III. 1701 im Königsberger Schloss zum König von Preußen gekrönt worden.
Umgeben von ostpreußischer Provinzialität entwickelte sich die reich gewordene Hansestadt zur Wiege der Aufklärung und später zu einer Hochburg der Romantik. Der Philosoph Immanuel Kant, der Königsberg zeitlebens kaum verließ, ist ihr berühmtester Sohn. Herder besuchte seine Vorlesungen. Der Barockdichter Simon Drach bereicherte das deutsche Volksliedgut mit dem »Ännchen von Tharau«. E.T.A. Hoffmann setzte ein Jahrhundert später mit »Kater Murr« den Königsberger Katzen ein Denkmal. Mitte des 19. Jahrhunderts erblickte die Künstlerin Käthe Kollwitz in der Stadt das Licht der Welt. Im Norden Königsbergs zog die Kurische Nehrung Agnes Miegel und später Thomas Mann, der sich in Nidda ein Sommerhaus baute, in den Bann.
Da hatte bereits der Niedergang begonnen. Mit dem Deutschen Reich war die Stadt nach dem Ersten Weltkrieg nur durch den »Korridor« verbunden. Königsberg wurde früh eine Hochburg der Nationalsozialisten. Mit ihrer Machtergreifung verschwand der freie Geist. 1944 feierte die Universität »Albertina« noch ihren 400. Geburtstag. Helmuth von Glasenapp, führender Indologe seiner Zeit, kommentierte die Feier so: »Es wurde vom 6. bis 9. Juli 1944 mit großem äußeren Glanz, aber mit soviel nationalsozialistischer Propaganda gefeiert, dass von dem Geist der Albertina, der die großen Männer beseelt hatte, nur noch wenig zu spüren war.«
Die letzten Tage von Königsberg waren geprägt von Bomben und Trümmern, Gewalt und Vertreibung. Von 1945 bis 1991 blieb das neue Kaliningrad ausländischen Besuchern versperrt. Heute leben die 430 000 Einwohner -Êebenso viele wohnen im Umland - mitten in der EU, ohne Teil der EU zu sein. Als westlichste Stadt Russlands zieht die Exklave Neureiche aus Moskau an. Sie bringen Geld, aber auch Bars und Spielhallen.
Die Kaliningrader suchen mehr denn je ihre Identität. Königsberg? Kaliningrad? Gäbe es eine Umfrage, die meisten votierten in dieser K-Frage wohl für Kantgrad.

Artikel vom 01.07.2005