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Schmiergeldaffäre bremst Volkswagen

VW-Chef kündigt lückenlose Aufklärung an - Affäre um Ex-Skoda-Personalchef zieht Kreise

Wolfsburg (dpa). Bei Volkswagen bahnt sich ein Skandal noch unklaren Ausmaßes um Schmiergeldzahlungen an. Eine Affäre um den früheren Personalchef der tschechischen VW-Tochter Skoda, Helmuth Schuster, droht sich auf andere führende Konzern-Mitarbeiter auszuweiten.
Tritt zurück: Betriebsratschef Klaus Volkert

Konzernchef Bernd Pischetsrieder will durchgreifen und kündigte eine »lückenlose Aufklärung« an. Dabei hat er derzeit mit Absatzeinbrüchen in China und den USA und einem massiven, konzernweiten Sparprogramm bereits alle Hände voll zu tun.
Und jetzt überschlagen sich die Ereignisse am Stammsitz in Wolfsburg: Gestern Vormittag trat völlig überraschend der mächtige VW-Betriebsratsboss Klaus Volkert zurück, um Schaden von IG Metall und VW-Betriebsrat abzuwenden. Auf einer Betriebsversammlung, auf der eigentlich der eiserne Sparkurs des neuen VW-Sanierers Wolfgang Bernhard im Mittelpunkt stehen sollte, erklärte Volkert, er trete nach 15 Jahren im Amt ab. Die Stabübergabe an seinen bisherigen Vize Bernd Osterloh sei seit längerer Zeit für den Sommer dieses Jahres geplant gewesen.
Der wahre Grund für den vorzeitigen Abgang blieb im Dunkeln: Spekulationen zufolge soll auch Volkert in die Schmiergeldaffäre um Schuster verwickelt sein.
Stundenlang gingen Volkert und der Betriebsrat gestern auf Tauchstation. Erst am frühen Abend wies Volkert die Vorwürfe gegen ihn zurück. »Ich habe mich keiner kriminellen Handlung schuldig gemacht«, betonte der 62-Jährige. Sein Abschied sei vorgezogen worden, »in Kenntnis der zu erwartenden öffentlichen Diskussion um scheinbare Unregelmäßigkeiten« im Zusammenhang mit seiner Person. Er werde sich juristischen Beistand nehmen.
Die Vorgänge um Schuster und der Volkert-Rücktritt sind möglicherweise erst der Anfang einer Affäre, die den Ruf von Volkswagen schwer schädigen könnte. In Medienberichten hieß es, auch Personalvorstand Peter Hartz sei verwickelt und werde zurücktreten. Schuster galt als enger Hartz-Vertrauter. Ein VW-Sprecher dementierte umgehend: »Hartz ist und bleibt Personalvorstand bei Volkswagen.«
Konzernchef Pischetsrieder kündigte an, Volkswagen arbeite bei der Aufklärung der Vorwürfe eng mit der Justiz zusammen.
Ein Sprecher der zuständigen Staatsanwaltschaft in Braunschweig sagte, VW habe bereits am Dienstag neben Schuster einen weiteren Mitarbeiter angezeigt. Diese zweite Anzeige richte sich aber nicht gegen Volkert oder einen hochrangigen Konzern-Manager.
Schuster musste seinen Posten bei Skoda vor zwei Wochen räumen. Gegen ihn und den zweiten Mitarbeiter ermittelt die Staatsanwaltschaft nun wegen des Verdachts auf Untreue und Betrug. Schuster soll Schmiergelder von Zulieferern verlangt haben und darüber hinaus mit Hilfe von Strohmännern Firmen im Ausland kontrolliert haben, die mit VW lukrative Verträge abschlossen. Wie das Magazin »Focus« berichtete, soll Schuster sich so an seinem eigenen Arbeitgeber bereichert haben.
In Sachen Volkert geht die interne Revision bei VW laut »Spiegel online« dem Verdacht nach, dass der Betriebsratschef mit Schuster an einem Unternehmen beteiligt sein soll, das sich um einen Auftrag von Skoda in Prag beworben hatte. Auch Volkert sei damit in die Affäre verstrickt. Branchenkreise bestätigten, es gebe »Unregelmäßigkeiten«.
Volkert stand 15 Jahre lang an der Spitze des VW-Betriebsrates und galt als einer der mächtigsten Betriebsratschefs in Deutschland. Er war maßgeblich beteiligt an wichtigen tarifpolitischen Abschlüssen bei VW in den vergangenen 15 Jahren - etwa an der Einführung der Vier-Tage-Woche 1993, mit der Massenentlassungen vermieden wurden, sowie am Tarifabschluss im vergangenen Herbst. Gegen eine Nullrunde holte Volkert eine Beschäftigungssicherung in den westdeutschen VW-Werken bis 2011 heraus.
Volkert war auch wichtiger Bestandteil im »System Volkswagen«, das der hannoversche VW-Betriebsratschef und SPD-Landtagsabgeordnete Günter Lenz einmal so beschrieb: Es bestehe darin, dass Vorstand, Arbeitnehmervertreter und die politisch Verantwortlichen des Landes Niedersachsen »Hand in Hand« dafür sorgten, Arbeitsplätze zu sichern.
Ein Sprecher der niedersächsischen Landesregierung sagte, die Aufsichtsratsmitglieder des Landes unterstützen den VW-Vorstand bei der Aufklärung. »Volkert hat sich unstreitig Verdienste um das Unternehmen VW und den Standort Niedersachsen erworben«, erklärte der Regierungssprecher. Das Land ist größter Anteilseigner von VW.

Artikel vom 01.07.2005