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Das Opfer entkam schwer verletzt mit einem Gewehrgeschoss und einem Sklavenhalsband. Beweis genug, dass zumindest er der Überzeugung war, dass auf diesem Schiff Straftaten begangen werden, nicht wahr?«
Etwas Asche fiel auf die Tischplatte, aber das mochte Zufall gewesen sein.
»Sollte dies stimmen, Herr Hansen, weiß ich nichts davon. Christiansen verfrachtet Stückgut, keine Menschen, also könnte es sich nur um ein Mannschaftsmitglied gehandelt haben. Sofern Ihre Information überhaupt richtig ist.«
»Ach, wirklich? Außer der Mannschaft pflegt niemand an Bord zu sein?«
Hansens triefender Hohn rief bei Nielsen ein Stirnrunzeln hervor. »Erklären Sie sich bitte!«, forderte er und legte seine Zigarre in einem Ungetüm von Aschenbecher mit goldenen Klauenfüßen ab.
Hansen ahnte, dass er dabei war, Nielsens Fassade zu durchbrechen. Er beugte sich vor. »Könnte es sein, dass das Mordopfer der Sohn eines dänischen Optanten war, den Sie außer Landes schleusen wollten?«
Zu seiner Verblüffung krauste Nielsen die Stirn, schüttelte entschieden den Kopf und nahm das Rauchen wieder auf.
Offensichtlich hatte er einen Fehler begangen. Aber worin bestand er? Hansen beschloss, einstweilen zum Thema Waffen zurückzukehren. »Wenn die Gewehre rechtmäßig ausgeführt werden, warum werden sie dann in den Ballasttanks versteckt?«
»Wo, bitte?«
»In den Ballasttanks«, wiederholte Hansen hartnäckig. »Wenn Sie mir nicht glauben, lassen Sie den Werftmeister Carstensen von der Fördewerft holen. Der ist für den Umbau verantwortlich.« Zwar hatte er sich diese Erklärung ohne Schimmer eines Beweises zurechtgelegt, aber es musste so sein.
Nach kurzem Zögern griff Nielsen zum Telefon, das offensichtlich als Statussymbol in seinem Büro stand, obwohl er meistens abwesend war, kurbelte und ließ sich mit der Werft verbinden.
Er war ein Kunde, dem man die Wünsche von den Augen ablas. Die dröhnende Stimme eines Herrn Vollertsen am anderen Ende der Leitung versprach, den Mann auf der Stelle zum Kontor zu schicken.
Sie warteten in feindseligem Schweigen. Nielsen hatte Hansen nichts zu sagen, und Hansen dachte über seine Taktik nach. Wenn doch nur Lars Rasmussen mitgekommen wäre!
Der Werftmeister erschien im Büro unter tiefen Verneigungen. Als er Hansen mit lässig übereinander geschlagenen Beinen im Besuchersessel bemerkte, klappte seine Kinnlade nach unten.
»Nun, Herr Carstensen«, sagte Nielsen scharf.
»Es handelt sich um ein Versehen, Herr Nielsen«, rief der Werftmeister mit zerknirschter Miene und deutete auch vor Hansen einen Bückling an, um im gleichen Atemzug fortzufahren: »Soll nie wieder vorkommen, Herr Nielsen! Aber wir glaubten alle, Herr Hansen hätte sich unter falschem Namen bei uns eingeführt. Und Werftarbeiter sind manchmal etwas rauh, wenn sie sich geärgert fühlen É«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, unterbrach Nielsen ihn kurz angebunden. »Ich ließ Sie wegen der Ballasttanks der Olivia rufen. Herr Hansen behauptet, dass an ihnen manipuliert worden ist.«
Carstensen blinzelte verblüfft und schüttelte den Kopf wie ein nasser Hund. »An den Ballasttanks?«, fragte er lahm.
»An den Ballasttanks.«
Der Werftmeister wirkte ungläubig, als hätte er eine solche Frage von Herrn Nielsen nicht erwartet. Plötzlich malte sich Erleichterung auf seinem zerknitterten Gesicht, das außer Pockennarben auch Brandspuren trug. »Mit Verlaub, Herr Nielsen«, sagte er beflissen. »Schiffseigner und Auftraggeber für alle Arbeiten an der Olivia ist Herr Nils Christiansen, Ihr Prokurator. Was er für das Schiff verfügt, muss er Ihnen schon selbst sagen.«
Nielsens schmächtige Faust schlug kraftlos auf den Schreibtisch. »Hat nicht mein Vater sein Schiff zur Reparatur stets in die Fördewerft geschickt? Und ich auch! Was denken Sie sich eigentlich dabei, mir in derartig unverschämter Weise eine Auskunft über ein Schiff, das wir jahrelang selbst bereedert haben, zu verweigern?«
Carstensen betrachtete schweigend seine verschmutzten Halbstiefel, und Hansen ließ seinen Blick zunehmend ungläubig zum Firmenchef wan- dern.
»Oder, Carstensen, ist es Ihnen lieber, wenn ich die Angelegenheit mit Herrn Vollertsen bespreche?«, erkundigte sich Nielsen leise drohend.
»Nein, das nicht«, antwortete der Werftmeister wie ein heruntergeputzter Schuljunge.
Die beiden führten ein Schauspiel auf. Hansen glaubte nicht mehr daran, dass Stefan Nielsen nicht eingeweiht war. Die Geste mit der Faust, die nicht zu dem etwas weibisch wirkenden Mann hinter dem Schreibtisch passte, hatte seine Zweifel beseitigt.
»Packen Sie aus«, befahl Nielsen.
»Ich habe im Auftrag von Herrn Christiansen die Ballasttanks umgebaut, das stimmt«, bekannte Carstensen trotzig.
»Zu welchem Zweck?«, erkundigte sich Nielsen.
»Das weiß ich nicht«, antwortete der Werftmeister, ohne zu zögern. »Das ist die Entscheidung des Schiffsbesitzers, ich tue, was mir gesagt wird. Ich habe Türen in jeweils eine kurze Wand der Tanks geschnitten.«
Das war eine taktisch schlaue Frage gewesen. Nielsen hatte Carstensen eine goldene Brücke gebaut, die dieser sofort erkannt hatte. Hansen beabsichtigte nicht, es Carstensen so leicht zu machen. »Und eine Wand davorgeschraubt, damit die Tür nicht auf den ersten Blick gesehen wird, stimmt's?«
»Ja, natürlich. Die Besatzung hätte ja sonst Fragen gestellt«, sagte Carstensen glatt. »Das wollte Herr Christiansen wohl verhindern.«
»Und Sie haben sich keine Fragen gestellt?«, erkundigte sich Nielsen nach einem unwirschen Blick auf Hansen.
»Dafür werde ich nicht bezahlt, Herr Nielsen. Viele Schiffsbesitzer sehen nicht ein, dass sie kostbaren Laderaum für Sand vergeuden sollen. Ob sie die Tanks mit Pökelfleischtonnen, Salz oder Getreide befüllen, geht mich nichts an.«
»Oder mit Gewehren!«, warf Hansen ein.
Carstensen schob den Unterkiefer wie ein Hund vor und presste die Lippen zusammen.
»Carstensen?«, fragte Niel- sen.
Der zog die Schultern nach oben. »Tut mir Leid, Herr Nielsen, davon weiß ich nichts. Ein Schiff wird ja nicht in der Werft beladen.«
»Dann können Sie jetzt gehen, Carstensen«, gestattete Nielsen. »Aber ich behalte die Sache im Auge. Wenn sich herausstellt, dass da irgendetwas faul ist, fliegen Sie, das verspreche ich Ihnen.«
Der Werftmeister nickte gleichmütig und schlurfte zur Tür, wobei er Hansen geflissentlich übersah. In seiner Miene spiegelte sich Befriedigung. Die Befragung hatte er überstanden, ohne etwas zu verraten, und nachzuweisen war ihm nichts, solange die Olivia auf See war.

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 16.07.2005