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Es musste mit der Olivia zu tun haben. Was hatte das Schiff mit Hadersleben zu tun? Von diesem Städtchen wusste Hansen nur, dass in der Nähe die Herrnhuter eine Gemeinde hatten.
Wer hatte jüngst die Herrnhuter erwähnt? Hansen legte die Beine auf den Tisch und den Kopf in den Nacken und dachte nach.
Er erinnerte sich so plötzlich, dass er in die Höhe fuhr, wobei er mit den Füßen Papiere vom Tisch fegte. Nils Christiansen und Frederik Nielsen hatten sich auf den Westindischen Inseln zu den Herrnhutern gerettet, als sie sich von Sklaven bedroht glaubten.
Irgendwie begann sich der Kreis zu schließen. Zu einem Sklavenring? Hoffentlich nicht zu einem Ring, der sich um seinen eigenen Hals legte.

Kapitel 21
Der Herr mit dem Ring. Moin auch.« Der Schmied ließ seinen Schmiedehammer ruhen und sah Hansen neugierig entgegen. »Haben Sie etwas herausbekommen?«
»Ja, das habe ich. Es handelt sich um einen Halsring, mit dem entlaufene Sklaven bestraft wurden«, antwortete Hansen bereitwillig.
»Sind Sie sicher? Ein Ring, der aus der Sklavenzeit stammt, müsste rostig sein. Er wirkte aber noch recht neu, erinnere ich mich.«
Hansen schwieg verblüfft. Darüber hatte er noch nicht nachgedacht.
»Es lohnt sich immer, mit jemandem zu reden, der sein Fach versteht«, sagte er schließlich anerkennend.
»Der Sklavenhandel findet wohl in manchen Teilen der Welt noch statt«, knurrte der Schmied. »Die unbeholfene Schmiedearbeit wäre damit jedenfalls erklärt. Die Mohren haben keine Lehrmeister.«
»Wohl nicht. Gut, dass ich an Sie geraten bin«, sagte Hansen dankbar. »Ich bin nämlich schon wieder mit einer Frage hier, für deren Beantwortung ich jemanden benötige, der sich auf Schiffe versteht.«
»Nur zu«, meinte der Schmied einladend. »Das Geschäft ist lau. Bei Sonnenschein gehen keine Kutschen kaputt.«
»Wofür genau werden Ballasttanks benötigt?« Es war eigentlich eine überflüssige Frage, aber sie würde den Schmied gleich ins richtige Fahrwasser bringen.
»Na, um Schiffe zu trimmen. Damit die Schiffe mehr Segel tragen können und schneller sind als die Konkurrenz, muss die Takelage höher sein, unverantwortlich hoch, wenn Sie mich fragen. Dadurch rückt der Schwerpunkt nach oben, und das Schiff wird sehr unstabil. Bei hohem Seegang kentert dann manches, selbst wenn der Steuermann erfahren ist. Vor allem Tiefwassersegler mit modernen Stahlmasten sind gefährdet.«
»Die Ballasttanks bringen den Schwerpunkt also wieder dorthin, wo er hingehört? Weiter nach unten.«
»Genau.«
»Was ist, wenn man keinen Sand in die Tanks füllt?«
Der Schmied zuckte die Schultern. »Tja. Dann haben sie zwar ihr Eigengewicht, aber das ist zu wenig.«
Hansen runzelte die Stirn und dachte nach. »Könnte man auch etwas anderes hineintun?«
»Sicher, warum nicht? Aber hören Sie, es ist doch abwegig, Kohle oder Salz in Ballasttanks zu füllen! Die Ladung lässt sich nicht löschen.«
»Könnte man eine Tür in einen solchen Tank einbauen?«
»Hineinschneiden. Natürlich könnte man das.« Der Schmied blickte Hansen misstrauisch an. »Sie meinen wirklich eine Tür zum Begehen des Tanks?«
»Ja.«
»Die getarnt werden müsste, zum Beispiel durch eine vorgeschraubte Wand?«
»Ja, genau!«, sagte Hansen bewundernd. Auch daran hatte er noch nicht gedacht. Aber es war die Lösung, um die Täuschung perfekt zu machen! »Es ginge also.«
»Gewiss. Aber es ist kriminell! Gefährlich für das Schiff. Man stelle sich nur vor, der Kapitän und die Offiziere wüssten davon nichts É Merken nur, dass das Schiff sich eigentümlich verhält.«
»In dem Fall, den ich meine, weiß wohl eher die Mannschaft nichts«, dachte Hansen laut nach. »Unternehmen können die Seeleute ja sowieso nichts, wenn sie erst einmal auf See sind.«
»Im Hafen auch nicht, außer heimlich abzumustern«, ergänzte der Schmied. »Aber das wird einer nur tun, wenn er Dreck am Stecken hat, weil sein Seemannsbuch ohne Austrag Verdacht erweckt. Die Seeleute sind immer die ärmsten Schweine an Bord.«
»Wahrscheinlich«, murmelte Hansen, mit den Gedanken woanders.
Der Schmied nahm seinen Hammer auf. Mit gesenktem Kopf klopfte er auf seine Handfläche, zunehmend entschlossener. »Die Schiffshavarien haben in den letzten Jahren gewaltig zugenommen«, sagte er mit zusammengebissenen Zähnen. »Es gibt Reeder, die den Verlust von Menschenleben in Kauf nehmen und ihre Schiffe in die Tiefe schicken, um Versicherungsgebühren zu kassieren. Und ich habe von Kapitänen gehört, die mit im Bunde waren, die vorgesorgt hatten, ihr eigenes Leben zu retten. Und schließlich soll es noch weitere Spezialisten dieser Art geben É«
»Davon habe ich auch gehört«, stimmte Hansen zu. »Und die doppelte Wand könnte wirklich so gut gearbeitet sein, dass man jemanden, der die Tanks überprüfen will, täuschen kann?«
»Jetzt reicht es mir aber«, brüllte der Schmied und hob den Hammer gegen Hansen. »Für welchen Gauner arbeiten Sie?«
»Was meinen Sie denn?«, fragte Hansen erschrocken und wich einen Schritt zurück.
»Glauben Sie, ich merke nicht, dass Sie ein Vermittler sind? Erst schleichen Sie sich geschickt in mein Vertrauen, und jetzt versuchen Sie, mich einzuwickeln! Sie suchen einen Schmied, der bereit ist, sich auf schmutzige Geschäfte einzulassen! Aber ich nicht, Herr!«
»Du liebe Zeit«, sagte Hansen ungläubig. »Was unterstellen Sie mir denn?«
»Wieso unterstellen? Nachdem Sie mir beim ersten Mal einen Sklavenhalsring gezeigt haben, damit ich auch ganz sicher begreife, für welche Leute Sie arbeiten? Ich habe doch längst kapiert, was Sie wollen! Eine Tür im Ballasttank für Schmuggelgut! Diamanten? Gold?«
»Aber nein«, widersprach Hansen entrüstet. »Ich bin einem Verbrechen auf die Spur gekommen und muss die Sache von allen Richtungen untersuchen. Bis alles wasserdicht ist. Sonst würde man mir nicht glauben. Wie Sie eben.«
»Ich glaube Ihnen immer noch nicht!«
Hansen verschlug es einen Augenblick die Sprache. Bis er auf eine Idee kam. »Kennen Sie Herrn Schliemann von der Polizeistation? Ich arbeite mit ihm bei der Aufklärung eines Falls zusammen.« Im weitesten Sinne konnte man es so nennen.
»So?« Der Schmied starrte ihn an. Dann senkte er langsam den Hammer und legte ihn beiseite. »Ich werde mich bei ihm erkundigen. Beim nächsten Regen. Dann kracht es wieder zwischen Kutschen, und er kommt her.«
»Ja, tun Sie das«, sagte Hansen, unangenehm berührt, und verließ die Werkstatt, so schnell er konnte, ohne es wie eine Flucht erscheinen zu lassen.
Auf der Straße holte er erst einmal Luft. Er fand es empörend, wie viele Menschen ihm seine guten Absichten nicht glauben mochten! Und waren denn Verbrechen auf See so häufig, dass der Schmied als Erstes daran dachte? Auf jeden Fall war er dankbar, wieder auf die Hallig zurückkehren zu dürfen, wo alles so viel einfacher war.
Die Telefonverbindung von Wyk nach Husum ins Wasserbauamt war schlecht. »Was haben Sie gesagt?«, rief Hansen in den Hörer.
»Der Kapitänleutnant hat noch keine Neuigkeiten für Sie«, dröhnte es in sein Ohr.
»Schade«, brüllte Hansen zurück, »ich fahre dann jetzt auf die Hallig!«
Die Verbindung brach zusammen. Hansen gab dem Pförtner des Hotels den Hörer zurück. Die Hallig war genau der richtige Ort, um sich zurückzuziehen, wenn einen die Welt nicht verstand.
An Bord des zur Hallig zurückkehrenden Ewers ging es gedämpft zu, aber Sönke Hansen hing seinen eigenen Gedanken nach und kümmerte sich nicht sonderlich darum. Er drehte sich zur Reling um, ließ sein Kinn auf dem ausgestreckten Arm ruhen und sah das Halligufer näher rücken. Die schwarzen Punkte der Warfen wuchsen zu erkennbaren Häusern, deren Bewohner er größtenteils kannte und sie ihn. Ihm war, als ob er nach Hause käme, für einen Moment überkam ihn sogar ein Glücksgefühl.
Es war Ebbe. Auf dem Sand vor dem Nordufer schoben Frauen mit hochgebundenen Röcken die Glüb, um Krabben zu fangen, weiter hinten sichteten junge Mädchen die Fänge.
Sönke Hansen winkte ausgelassen, aber außer zwei Kindern winkte niemand zurück. Etwas verlegen, weil er sich wie ein Badegast benahm, rückte er sich wieder auf der Bank zurecht, mit dem Gesicht zur Plicht wie alle anderen.
Da erst nahm er wahr, dass die Halligleute auffallend mürrisch waren. Kaum einer sprach mit seinem Nachbarn, die Nordmarscher und die Langenesser saßen sogar getrennt voneinander. Hansen verkniff sich eine neugierige Frage nach dem Grund.
Denn gerade noch rechtzeitig bemerkte er, dass alle zusammen vor allem den Blickkontakt mit ihm vermieden. Was nur war los?
Von Bord gegangen, stolperte Sönke Hansen geradezu über Wirk, der auf der nächsten Fenne Pilze einsammelte. Als er ihn anrief, schlenderte Wirk herbei.
(wird fortgesetzt)

Artikel vom 07.07.2005