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Hansen nickte.
Petersen hob die Hand und legte seinen Zeigefinger wie eine Schusswaffe auf Hansen an. »Aber abgesehen davon rühren Sie sich nicht von Ihrem Schreibtischstuhl! Sie sind ja gemeingefährlich!«
Das wohl weniger. Hansen lächelte trübsinnig. Immerhin hatte er noch einen Aufschub bis zur Entlassung bekommen. Das bedeutete, er musste dem Kapitän so bald wie möglich sein Anliegen vortragen, um keine Zeit zu verlieren. Leider oder gottlob, wie man's nahm, war die Kommission nicht täglich im Amt, und er wusste nicht, wie er von Frechen erreichen konnte.
Es war daher ein Geschenk des Himmels, als Hansen ihn am Nachmittag auf der Treppe stehen sah, allerdings im Gespräch mit Aksel Andresen. Er beschloss, unauffällig zu warten, bis sie sich trennten, und dem Kapitän dann nachzugehen.
Doch von Frechen bemerkte ihn und winkte ihn zu sich. »Kommen Sie her, Hansen«, rief er nach oben. »Herr Petersen bat mich, Ihnen zu helfen. Eine Auskunft, die das Militär betrifft?«
Der Herr Kapitänleutnant wollte gebeten sein. Am besten im Beisein anderer, denen er imponieren konnte, stellte Hansen für sich selber fest, als er die flachen Stufen hinunterlief. »Guten Morgen, Herr von Frechen, guten Morgen Herr Andresen«, grüßte er höflich.
»Sie kennen sich?«, fragte der Kapitän irritiert, während Andresen mit nun schon gewohntem Spott um die Lippen nickte.
»Wusste ich nicht. Also, was ist? Machen Sie es kurz«, verlangte von Frechen ruppig.
Hansen gab ihm eine geraffte Zusammenfassung all dessen, was die Olivia betraf, das Übrige ließ er beiseite. Nebenher bemerkte er, dass Andresen sich weitaus mehr dafür zu interessieren schien als der Kapitän.
»Wie kommen Sie nur an diese Geschichte«, sagte von Frechen nörgelig, ohne eine Antwort haben zu wollen. »Und Sie wollen doch nicht im Ernst behaupten, dass ein unbeleuchteter Großsegler in deutschen Gewässern herumgeistert! Tun Sie sich mit Richard Wagner zusammen und erfinden Sie ihm ein neues Libretto!«
»Er ist tot«, bemerkte Hansen humorlos.
»Und schon gar nicht ein Schiff des ehrenwerten Stefan Nielsen!«, fuhr von Frechen im Schwung seiner wachsenden Entrüstung fort. »Wissen Sie überhaupt, gegen wen Sie da antreten? Die Nielsens sind Rum-Barone! Sie verkehren in der besten Gesellschaft Deutschlands und Dänemarks!«
»Da würde ich nicht so viel drauf geben, Kapitän. Stefan Nielsen ist ein Taugenichts«, warf Andresen zu Hansens Überraschung ein.
»Na, na!«
»Die Wahrheit darf man allemal aussprechen, Herr Kapitän. Jedenfalls als Däne.«
»Als preußischer Beamter auch«, stellte von Frechen eilig richtig. »Es ist dies eine von mehreren Tugenden, die unsere Grundhaltung ausmachen.«
Hansen verkniff sich ein Grinsen. Dem Kapitän, der sich dem Baron stets so beflissen andiente, gönnte er ein wenig Irritation von Herzen.
»Gibt's noch mehr Tugenden ähnlicher Art?«, fragte Andersen scheinbar neugierig.
Herr von Frechen warf einen indignierten Blick auf den Dänen. »Ehrlichkeit, Unbestechlichkeit, Rechtschaffenheit É«
»Fein«, unterbrach ihn Andresen. »Dann wüsste ich nicht, was dagegen spricht, dass Sie sich ein wenig um die Olivia kümmern. Hier ist ein rechtschaffener junger Mann, der im Rahmen seiner Arbeit offensichtlich einem Verbrechen auf die Spur gekommen ist, und auf der anderen Seite sitzen Gauner, glauben Sie es mir, Herr Kapitänleutnant. Unterstützen Sie Hansen, denn damit unterstützen Sie mich am besten. Ich werde es nicht vergessen.«
Der Umfang seiner Interessen war wirklich atemberaubend. Mit der abwertenden Beschimpfung als Kapitalist war er längst nicht beschrieben. Hansen begann schon fast Sympathie für den Mann zu empfinden.
»Anschließend kümmern Sie sich natürlich wieder um meinen Leuchtturm. Nicht wahr, Hansen?« Andresen ermunterte ihn mit einem kräftigen Schlag auf die Schulter.
Sönke Hansen nickte stumm.
»Ich darf mich dann verabschieden, Herr Andresen«, sagte von Frechen förmlich und gab ihm die Hand. Für Hansen hatte er nur einen giftigen Seitenblick und nicht einmal die Andeutung einer Zusage übrig.
»Da haben Sie aber in ein Wespennest gestochen, Hansen«, sagte Andresen in warnendem Ton, als der Kapitän außer Hörweite war.
»Glauben Sie wirklich?« Hansen fiel erst auf, dass Andresen zum Dänischen übergewechselt war, als er seine eigene Antwort formulierte.
»Glauben ist gar kein Ausdruck, ich weiß es.«
»Ich bin schon zweimal in Unfälle verwickelt worden, seitdem ich mich mit der Sache befasse«, bekannte Hansen, ohne sich genauer zu erklären. Er hatte das Gefühl, dass Andresens Meinung dazu wichtig sein könnte.
»Sie meinen Anschläge auf Ihr Leben?«, stellte Andresen ohne Umschweife klar.
»Man könnte es so nennen. Ich nahm sie als Zufälle, aber jetzt bin ich mir nicht mehr sicher.«
»Im Zusammenhang mit der Geschichte, die Sie erzählt haben, können Sie ganz sicher sein, dass es keine Zufälle gibt. Hat dieser merkwürdige Todesfall eines Leuchtturmwärters auf Amrum auch damit zu tun?«
»Vermutlich. Ich denke, er wurde mit mir verwechselt. Er brachte mich in die Kleine Auster, und wir trennten uns erst spätnachts. Aber die Polizei von Föhr glaubte an politische Verwicklungen, in die sie sich nicht einmischen wollte.«
Andresens Hand beschrieb eine abfällige Bewegung. »Da sieht man, dass Ihr Egoismus ein Menschenleben gekostet hat. Sie hätten meine Einladung annehmen sollen.«
Hansen sog heftig Luft ein. Diesen Vorwurf, mochte er auch ungerecht sein, hatte er sich auch schon gemacht. Er spürte Andresens Hand auf seiner Schulter und blickte ihm ins Gesicht.
»So habe ich es nicht gemeint. Ihre Entscheidung war ehrenwert und richtig. Seien Sie in Zukunft vorsichtig. Und machen Sie zur Erholung mal eine Dampferfahrt durch den Haderslev-Fjord. Er ist eng und gewunden, und seine Ufer sind malerisch. Mojn, mojn.«
Am nächsten Tag erschien Petersen in Hansens kleinem Raum. Er sprang erschrocken auf. Die Entlassung?
Aber Petersen warf ihm eine Ausgabe der Flensburger Nachrichten auf den Schreibtisch und zeigte auf einen unscheinbaren Artikel auf der vorletzten Seite.
Am gestrigen Tage meldete die Fördewerft unserem Nachrichtenblatt ein Geschehnis, das unter der Rubrik Curiosa einer Erwähnung wert ist. Es tauchte in der Werfthalle ein Fremder in der einfachen Kleidung eines Hafenarbeiters auf, der sich unter falschem Namen und falscher Berufsangabe Informationen über Schiffe der Werft erschleichen wollte. Als er schließlich gar noch um einen Schiffsplan (Riss) bat, entschloss sich der zu Recht misstrauisch gewordene Werftmeister, ihn festhalten zu lassen, um ihn der Polizei zu übergeben. Der Mann verschwand jedoch vorher spurlos. Die Polizei geht davon aus, dass es sich um die Einhaltung einer Wette oder einen ähnlichen Scherz handelte. Eine Wiederholung anderenorts scheint nicht ausgeschlossen.
»Was sagen Sie dazu?«, fragte Petersen.
»Als Hafenarbeiter verkleidet zu sein ist immerhin nichts Ehrenrühriges.« Hansen starrte noch eine Weile ungläubig auf die Zeitung. »Das muss die offizielle Lesart des Kontors sein. Offenbar hat Stefan Nielsen oder wahrscheinlich eher sein Prokurator entschieden, das Rum-Kontor aus der Sache herauszuhalten.«
»So sehe ich es auch. Unser Amt ist aus dem Schneider«, seufzte Petersen erleichtert. »Sie haben wieder Freigang. Haben Sie mit dem Kapitänleutnant gesprochen?«
»Habe ich. Aber ich weiß nicht, ob er bereit ist zu helfen.«
»Na, das überlassen Sie ruhig mir. Unter diesen neuen Umständen werde ich tun, was ich besser kann als Sie. Aus hierarchischen Gründen, versteht sich.«
Hansen nickte dankbar.
»Was haben Sie als Nächstes vor? Das Eisen muss geschmiedet werden, solange es heiß ist.«
»Genau. Ich werde nach Wyk fahren. Ich kenne dort einen Schmiedemeister, der lange in der Wyker Schiffswerft beschäftigt war. Ich muss in Erfahrung bringen, was es mit den Ballasttanks auf sich hat. Bisher weiß ich nur, dass die der Olivia geeignet sind, gestandene Männer nervös zu machen.«
»Dass Sie meine Anweisungen so wörtlich befolgen, ist ja eine ganz neue Eigenschaft von Ihnen, Hansen. Gefällt mir.«
»Aber Ihr Eindruck ist falsch, Herr Petersen«, widersprach Hansen heiter, unfähig, der Versuchung zu widerstehen. »Erinnern Sie sich nur daran, dass ich auf der Hallig blieb, weil eine ausdrückliche Anweisung von Ihnen nicht gekommen war. In dieser Hinsicht ist meine Disziplin makellos, finde ich.«
Petersen unterdrückte ein Lächeln und verließ kopfschüttelnd den Raum.
Hansen sank mit weichen Knien auf seinen Stuhl. Bald hatte er vermutlich den ihm zustehenden Anteil Glück aufgebraucht.
Dann begann er wieder, Andresens merkwürdigen Ratschlag hin und her zu wenden, ohne einer Erklärung näher zu kommen. Da der Mann kein überflüssiges Wort sprach, wie er mittlerweile gemerkt hatte, war es bestimmt kein Vorschlag gewesen, Urlaub zu machen. (wird fortgesetzt)

Artikel vom 06.07.2005