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Sexueller Missbrauch: Urteil
trotz Widerruf des Opfers

Jugendkammer: Vier Jahre und drei Monate

Bielefeld (uko). Vier Jahre und drei Monate Haft muss ein russischstämmiger Familienvater absitzen, der die Tochter seiner Lebensgefährtin sexuell missbraucht hat. Die Jugendkammer des Landgerichts verurteilte den Mann gestern, obwohl das Opfer seine belastende Aussage kurz vor dem Prozess widerrufen hatte.

Zu den Vorfällen in Sennestadt war es bereits im Mai 2002 gekommen. Viktor G. (44) hatte zweimal nach seiner Nachtschicht die damals 13-jährige Fabienne (Name des Opfers geändert) missbraucht. Die Mutter des Mädchens war zu jener Zeit arbeiten gegangen. Tage später hatte sich die Schülerin ihrer Großmutter anvertraut. Die alte Dame ließ, von ihrer Enkelin unbemerkt, eine Videokamera laufen und zeichnete die Erzählung des Mädchens auf. Auf eine Strafanzeige wurde nach einem Familienrat zunächst verzichtet.
Erst im November kam das Verfahren in diesem ungewöhnlichen Fall ins Rollen. Die Mutter war mit ihren Kindern bei Viktor G. ausgezogen, weil sie angeblich dessen Gewalttätigkeiten fürchtete. Kurz vor Beginn des Prozesses widerrief nun Fabienne selbst aus fadenscheinigen Gründen ihre bisherige Aussage. Im Prozess indes blieb sie bei ihren ursprünglichen Anschuldigungen.
Während Viktor G. vehement jeden sexuellen Übergriff bestritt und die Anschuldigungen als Komplott der Großmutter bezeichnete, schenkten die Richter dem jungen Mädchen ohne jeden Zweifel Glauben. Eine derartige Geschichte könne man nicht erfinden und einstudieren, sagte Kammervorsitzender Reinhard Kollmeyer. Im übrigen: Warum hätte dann die Großmutter die Sache zwei Jahre lang auf sich beruhen lassen? Die Aussage des Mädchens sei in sich stimmig, und »Details sprechen für tatsächliches Erleben«. Fabienne habe Viktor G. auch nicht »pauschal schlecht gemacht«. Immerhin sei er ihrer Halbschwester ein guter Vater.
Recht deutlich wandte sich Kollmeyer während der Urteilsverkündung auch an die im Gerichtssaal anwesende Mutter: Ihr hielt er sein Unverständnis darüber vor, dass sie ihrer Tochter immer noch nicht glaube. Und zu der ebenfalls auf der Zuhörerbank sitzenden Fabienne sagte der Vorsitzende Richter: »Für die Verurteilung bist du nicht verantwortlich. Er (Viktor G.) allein trägt die Schuld.«

Artikel vom 30.06.2005