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Leitartikel
Die Linken haben gesiegt

Schröders letztes
»Basta«


Von Reinhard Brockmann
Ein historischer und in Maßen ein guter Tag für Deutschland, aber auch das Trauerspiel eines persönlichen Scheiterns und ein Schlussstrich unter verlorene Jahre: Der Kanzler hat die Vertrauensfrage gestellt und Misstrauen, wie bestellt, erhalten.
Respekt verdient Gerhard Schröder dennoch. Glaubhaft hat er seine Sicht der Dinge dargelegt, Parteitaktik hintangestellt und die Gründe für die Regierungsunfähigkeit - aus seiner Sicht - sowohl bei der Opposition aber auch in den eigenen Reihen verortet. Es gibt eine Reihe von Politikfeldern, auf denen er die nötige Gefolgschaft vermisst. Dazu gehören, kaum beachtet, die Türkeifrage sowie die Vertiefung der Beziehungen zu Russland und China. Über allem steht als zentrales Streitobjekt die Agenda 2010. In die Hände des Volkes will er diese Frage jetzt legen und strebt deshalb Neuwahlen an.
Neben dem Blockadevorwurf an die Union wies er am Freitag außergewöhnlich deutlich auf das eigene Lager. Schröder sprach Tacheles in einer Form, wie sie einem Bundeskanzler angemessen ist, aber nur selten von ihm oder einem seiner Vorgänger je zu hören war.
Zweifler und Austrittskandidaten bei den Grünen, mehr noch am linken Rand der SPD nahm er dabei deutlich ins Visier. Sehr fein zog er eine Trennlinie zwischen der moralischen Freiheit des Abgeordneten und der politischen Dimension, die dies aus der Sicht des Kanzlers haben müsse. »Abweichendes Ankündigen, Fordern oder Verhalten« müsse er stets politisch bewerten, sagte Schröder in einem der wichtigen Schlüsselsätze seiner Rede.
Die permanente Gefahr, der Kanzlermehrheit nicht mehr sicher zu sein, gefährdete in der Tat seit langem, vielleicht von Anfang an, die notwendig »stetige und verlässliche Basis« des Kanzlers. Mit dem Basta angefangen hat es in sieben Jahren immer wieder unverhohlene Drohungen gegeben. Und es ist Schröder und Müntefering nie gelungen, die Partei auf Agenda-Kurs zu bringen. Im Gegenteil: Inzwischen driftet die Partei längst wieder ab in die Versprechen sozialer Wärme, die nicht einmal in den 70er Jahren zu bezahlen waren - geschweige denn heute, da die Finanzen ruiniert sind.
Ganz offenbar hat es, wie Schröder jetzt bestätigt, die vermutete Verschwörung der Linken gegen den eigenen Kanzler in den Wochen vor der absehbaren Niederlage bei der NRW-Wahl am 22. Mai gegeben. Danach haben Kanzler und Parteichef, allerdings ohne rechtliche Beratung, am Wahlabend um 18.20 Uhr nicht aus dem Bauch heraus, sondern ganz gezielt ihren Misstrauens-Coup gelandet.
Das breite Überlaufen zur Linkspartei hat nicht stattgefunden, wohl aber die Formation einer »PDS mit Lafontaine«. »PDS/mL« hetzt Müntefering gegen die Konkurrenz im eigenen Lager.
Paradox: Weite Teile der Schröder'schen Argumentation bleiben unlogisch, dennoch werden sie ausreichen, um Neuwahlen herbeizuführen.

Artikel vom 02.07.2005