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Drang zur Offenbarung im Internet

Telefonseelsorge: Mehr Hilfesuchende als im Vorjahr - Neu: Rat per Mail

Bielefeld (sas). Mehr als 25 000 Menschen haben im vergangenen Jahr die Telefonseelsorge angerufen - nochmal 7,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Nicht immer kam es zu einem Beratungsgespräch, zuweilen herrschte Schweigen, oder die Anrufer legten einfach wieder auf. Immerhin 14 000 Menschen aber suchten das Gespräch.

Die Telefonseelsorge wird von der evangelischen und katholischen Kirche getragen; der Einzugsbereich der Bielefelder Stelle umfasst neben der Stadt die Kreise Gütersloh und Lippe. 101 ehrenamtliche Mitarbeiter leisten rund um die Uhr an sieben Tagen in der Woche den Telefondienst - »unser Rückgrat«, wie Pfarrerin Dr. Hanni Berthold, Leiterin der Telefonseelsorge, sagt.
Die Themen, die am Telefon angesprochen werden, sind Krankheiten (vor allem psychische Erkrankungen), Partnerschaftsprobleme, Einsamkeit und vieles mehr. »Zunehmend werden wir auch mit Hartz IV und finanziellen Problemen konfrontiert; insofern spiegeln sich gesellschaftliche Probleme in unserer Arbeit«, sagt die hauptamtliche Mitarbeiterin Elisabeth Kamender.
Das Gros der Anrufer ist zwischen 30 und 39 sowie zwischen 50 und 59 Jahre alt. »Für diese Altersgruppen scheint unser Angebot besonders passend zu sein«, meint Berthold. In der Gruppe der Teenager scheint dagegen das Ausprobieren (»Wie reagieren die?«) eine Rolle zu spielen. Zwei von fünf Ratsuchenden sind alleinstehend.
Zwei bis 30 Minuten dauert ein Gespräch zumeist, selten auch mal länger. »Das soll eigentlich auch so sein, weil wir Anlaufstelle in der Krise sein wollen und die Anrufer dann gezielt weiterleiten an andere Beratungsangebote«, betont die Leiterin der Telefonseelsorge. Deswegen auch ist es nicht sinnvoll, per Handy den Kontakt zu suchen: »Denn dann weiß man nicht, bei welcher Telefonseelsorge im Bundesgebiet man landet. Und dann sind einfach keine lokalen oder regionalen Hilfsangebote zu nennen«, betont Paul, 67 Jahre alt und einer der anonymen ehrenamtlichen Mitarbeiter. Beim Anruf aus dem Festnetz hingegen erfolgt die Weiterleitung an die nächstgelegene Telefonseelsorgestelle.
Neu ist die Internetberatung, die von zehn Ehrenamtlichen geleistet wird. Die, die sich per Mail melden, sind im Schnitt jünger als die Anrufer; Männer nutzen dieses Medium leichter. Auch hier geht es oft um die Problemfelder Depression und psychische Krankheit sowie um Beziehungen, häufiger als am Telefon aber auch um Selbstmordankündigungen, Sexualität und Selbstverletzungen.
Anders als bei den Telefonkontakten können die Ehrenamtlichen bei den Mails eher einen Prozess verfolgen: »Man sieht, ob es dunkler wird«, sagt Hanni Berthold. Ohnehin ist die Arbeit per Internet eine andere: »Man hat keine Stimme, weiß also im Zweifel nicht, ob man es mit einem Mann oder einer Frau zu tun hat, und kann nichts über die Stimmungslage sagen«, beschreibt Kamender. Das Internet bietet noch mehr Anonymität und hilft, sich zu verbergen; zugleich leben mehr Ratsuchende den Drang aus, sich zu offenbaren. »Das, was einem da oft geschildert wird, kann einen verfolgen«, sagt Elisabeth Kamender.
Auch deswegen gibt es für die ehrenamtlichen Helfer nicht nur ihrerseits ein Nottelefon, sondern auch eine regelmäßige Supervision. »Und in der Ausbildung, die sich über ein Jahr erstreckt, werden unsere Mitarbeiter auf viele Situationen vorbereitet«, betonen Berthold und Kamender. Denn ein »Laientelefon« dürfe die Telefonseelsorge angesichts der oft schwierigen Gespräche nicht sein.
Wer sich für Mitarbeit interessiert, erfährt telefonisch unter 6 77 42 mehr. Wer ein Stück Begleitung oder Halt benötigt, kann gebührenfrei und anonym die 08 00 /111 0 111 oder 08 00 /222 0 222 wählen oder aber TS.Bielefeld@t-online.de anklicken.

Artikel vom 30.06.2005