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Kritik am Staatsanwalt:
Verfahren verschleppt

Türke vergewaltigte Tochter - sechseinhalb Jahre Haft

Bielefeld (uko). In aller Offenheit hat das Landgericht Bielefeld gestern Missstände in der Staatsanwaltschaft gerügt: Weil die Akte wegen eines Kindesmissbrauchs länger als ein Jahr nicht bearbeitet wurde, erhielt der Angeklagte nur sechseinhalb Jahre Haft. Kammervorsitzender Reinhard Kollmeyer: »Zeitnah hätten wir sieben Jahre verhängt.«

Der ungewöhnliche Fall ereignete sich in einer türkischen Familie in Bielefeld, die mittlerweile durch das Verfahren völlig zerbrochen ist. Über mehrere Monate hinweg bis zu den Sommerferien des Jahres 2002 hatte Hamdi V. (45) seine zu Beginn der Taten erst 14-jährige Tochter Sevdi (Name des Opfers geändert) sexuell missbraucht, später sogar mehrfach vergewaltigt.
Erst im Januar 2003 wandte sich das völlig verängstigte und verstörte Mädchen an Freunde und offenbarte die Gewalt, die ihr der Vater angetan hatte. Nach der Strafanzeige blieb Sevdi in der Familie völlig isoliert: Der Vater stritt die Vorwürfe ab, die Mutter glaubte dem Mädchen nicht, und selbst die Schwestern - sie waren sogar bei einem Übergriff im selben Zimmer gewesen - hatten zumindest Zweifel an den Aussagen der Schwester.
Die Ermittlungen der Kriminalpolizei wurden zügig abgearbeitet; im April 2003 wurde die Akte der Staatsanwaltschaft übersandt. Der zuständige Dezernent ließ ein in diesen Fällen übliches Glaubwürdigkeitsgutachten erstellen, das im Herbst 2003 vorlag. Dann allerdings glänzte die Staatsanwaltschaft durch Untätigkeit: Erst Anfang 2005 wurde die Behörde aktiv, als Rechtsanwältin Heidi Saarmann für das mutmaßliche Missbrauchsopfer Druck machte. Sie befürchtete eine Flucht des Vaters, der daraufhin auf den Antrag des Staatsanwalts in Untersuchungshaft genommen wurde.
Jetzt legte Hamdi V. ein Geständnis ab, das in den Augen von Reinhard Kollmeyer indes »spät« kam: »Es hätte gut getan, wenn Sie sich früher zu den Taten bekannt hätten.« Sauer stieß dem Richter zudem das gottgläubige Abschütteln der Verantwortung durch den Moslem auf: Er könne nichts für die Taten, denn das »war vom Allmächtigen vorbestimmt«. Immerhin, so ließ auch Kollmeyer einen Anflug von Fatalismus erkennen, habe er zum ersten Mal seit fünf Jahren als Vorsitzender Richter erlebt, »dass ein Moslem geständig ist«.
Sevdi lebt derzeit außerhalb ihrer Familie in einer Wohngruppe. Sie leidet sehr unter den psychischen Folgen der sexuellen Übergriffe. Suizidgedanken sind der heute 17-Jährigen nicht fremd. Immerhin habe sie nun die Bestätigung, nicht gelogen zu haben, stellte Kollmeyer gestern zufrieden fest. Kein Verständnis dagegen hatte der erfahrene Jugendrichter für die »rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung« durch die Staatsanwaltschaft. Weil das Verfahren 15 Monate schneller hätte bearbeitet werden können, wurde das ursprünglich avisierte Strafmaß von sieben Jahren um sechs Monate reduziert. Der Haftbefehl gegen den Türken, dem die Abschiebung droht, blieb aufrechterhalten und in Vollzug. Grund: Wenn der Allmächtige den Angeklagten schon zu solch schwersten Straftaten getrieben habe, dann möglicherweise auch zu einer Flucht . . .

Artikel vom 29.06.2005