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Angriffslust und Abwehrfrust

Bei der Sause in Sachsen verkrümelt sich nur Kahn in die Katakomben

Von Friedrich-Wilhelm Kröger
Leipzig (WB). Der Besuch in einer Leipziger Keller-Disco zehrte weiter an den Kraftreserven. Aber so ein bisschen Auslaufen nach der Anstrengung musste schon sein. Alles wurde den deutschen Nationalspielern im Bemühen um Platz drei abverlangt, weniger hätte zum 4:3-Erfolg gegen Mexiko auch nicht gereicht. Der Marathon ging erst nach 120 Minuten zu Ende - und die DFB-Auswahl noch einmal bis an ihr Limit.
Kommando zurück: Oliver Kahn hätte es gern etwas defensiver.
Seit gestern macht sie Urlaub - mit der Goldenen Ananas im Reisegepäck. Um mehr ging es eigentlich nicht im Zentralstadion. Aber es hätte auch eine matschige Banane vom Wagen des Billigen Jakob geworfen werden können. Die Mannschaft legte sich für den Trostpreis beim Confed-Cup so schwer ins Geschirr, als gebe es morgen keine Länderspiele mehr.
Zur Beschreibung der deutschen Leidenschaft griff Bundestrainer-Assistent Joachim Löw darum auch zu einer Formulierung, die direkt aus einer Heldensage stammen könnte. »Die Spieler haben den letzten Tropfen aus sich herausgequetscht«, erklärte er voller Inbrunst. Gut nur, dass Löws zweite Beobachtung den nächtlichen Stadtausflug nicht zu sehr beeinträchtigte, sonst wäre der wohl ausgefallen: »Einige sind auf dem Zahnfleisch gekrochen.«
Ein Diplom zeugte später auch schriftlich davon, Dritter beim Konföderierten-Kicken geworden zu sein. Dazu gab es eine richtige Bronzemedaille. Für manche der Beteiligten war es die erste Plakette dieser Art. Lukas Podolski hatte sie um den Hals hängen, hob sie mit den Fingern leicht an und fragte stolz: »Wollt ihr mal sehen?«
Im Gegensatz zum 20 Jahre jungen Kölner hatte der 36-Jährige Mannschafts-Methusalem Oliver Kahn das Schmuckstück schnell wieder verschwinden lassen. Dem Torhüter war schon im Stadion nicht danach zumute, in die Sause der Sachsen einzusteigen. Als die Kollegen noch schleppenden Schrittes die Ehrenrunde abgingen, verkrümelte sich Kahn genervt in die Kabine.
Er hatte den Kahn vollbekommen. Brrr! Wie ein Hund bellte er Torsten Frings nach einem Fehler an, nach dem Abpfiff bekamen alle ihr Fett weg. »Kamikaze-Fußball«, ereiferte sich der Torwart, der zuvor schon von Australiern dreimal übergangen wurde und jetzt auch noch von Mexiko. Dazwischen hatte er seinen Arbeitsplatz erst gar nicht betreten dürfen. Was ist nun schlimmer: Die Reservebank - oder einen Sack Flöhe zu hüten? So kam Kahn sich vor, als das furiose Element die Oberhand behielt über jede Vernunft.
Es endete mit einem 4:3. Und damit, dass Kahn in den Katakomben beinahe einen Richtungsstreit vom Zaun brach: »So können wir auf keinen Fall weiterspielen. Das geht bei der WM niemals gut.« Als Opfer deutscher Durchlässigkeit fühlte der Ausgelieferte, wie sich sein Haupthaar aufstellte. Es habe ihm zu Berge gestanden. Einen Versuch, den Voll-Stoff-Fußball mit Humor zu nehmen, gab es: »Ich musste fast lachen, als ich von hinten sah, wie wir immer wieder mit allen Mann nach vorn gestürmt sind« - allerdings fand es Kahn am Ende doch nicht mehr komisch. »Da mussten wir auch noch in die Verlängerung, es blieb mir aber auch nichts erspart.«
Teammanager Oliver Bierhoff räumte ein, »dass es für unsere Torhüter kein dankbares Turnier war.« Doch Bundestrainer Klinsmann, Löw und er sind keine Abweichler. Es bleibt beim Vortritt der Abteilung Attacke, ohne deswegen die Deckungsdellen zu übersehen. Angriffslust und Abwehrfrust führten in den sieben Juni-Länderspielen zum Gesamttorverhältnis von 21:14. Zum Vergleich: Bei der WM 2002 blieb Kahn vom letzten Gruppenspiel an bis zum Finale sieben Stunden ohne Gegentor. Man möchte meinen: So fade kann Fußball sein. »Torhüter wollen eben immer zu Null spielen«, brachte sogar der runtergeputzte Frings Verständnis für die Kahn-Kritik auf.
Dass dessen missachteter Aufruf zur Ordnung zu einer der mitreißendsten Partien aller Zeiten um irgendeinen dritten Platz auf dieser Welt führte, war trotzdem toll. Sonst könnte diese an sich nutzlose Angelegenheit auch gleich aus dem Programm wandern.

Artikel vom 01.07.2005