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»Wir sind jetzt der große Favorit«

Brasiliens weltmeisterliche Final-Gala in Frankfurt - »Schicksalsschlag« für Argentinien

Frankfurt/Main (dpa). Mit Zauberfußball haben die Ballkünstler aus Brasilien die Herzen der Fans im Sturm erobert und sich 345 Tage vor der Weltmeisterschaft in Deutschland selbst zum ersten Topfavoriten gekürt.

Ronaldinho, Kaká, Adriano, Robinho und Kollegen feierten den Triumph beim Confederations Cup ausgelassener als den WM-Sieg 2002 und veranstalteten im Frankfurter Stadion die größte Samba-Party in Deutschland. »Zum ersten Mal sind wir jetzt der ganz große Favorit für die WM. Aber wir dürfen uns nicht ausruhen, wir müssen weiter arbeiten«, sagte Nationaltrainer Carlos Alberto Parreira, nachdem die »Seleção« den Erzrivalen Argentinien mit 4:1 (2:0) an die Wand gespielt hatte.
Den letzten Auftritt an diesem großartigen Abend hatten die Spieler des fünfmaligen Weltmeisters eine Minute vor Mitternacht: Über hundert Reporter warteten in den Katakomben auf die Sieger, als die Kabinentür aufging und alle Brasilianer - angeführt von Roque Junior und Ronaldinho - singend, tanzend und trommelnd herauskamen, eine Runde drehten und lachend verschwanden. »Auf Wiedersehen«, sagte Lucio - es war ein Versprechen für die WM 2006.
Vor 45 591 Zuschauern feierte der fünfmalige Weltmeister die Geburt einer wundervollen Mannschaft. Selbst der so nüchterne Parreira ließ sich von der Ballfertigkeit und Begeisterung seiner Talente mitreißen. »Wir haben eine sehr, sehr außergewöhnliche Zusammensetzung, das ergibt unglaubliche Synergie-Effekte«, erklärte der Nationalcoach, der Brasilien 1994 auf den WM-Thron geführt hatte.
Doch Parreira wäre nicht Parreira, wenn er nicht in einem Atemzug die größten Konkurrenten für nächstes Jahr aufzählen würde: »Deutschland wird sehr stark sein. Und nicht zu vergessen die Niederlande, die Tschechische Republik, England, Portugal...« Den Rivalen Argentinien hatte er bei der Aufzählung (absichtlich?) vergessen.
»Wir haben schon viel gewonnen, aber wir haben noch Potenzial. Wir werden noch besser«, warnte Ronaldinho die internationale Konkurrenz. Die Mini-WM habe »richtig Spaß« gemacht. Wenn statt 3 Minuten Nachspielzeit 30 angezeigt worden wären - das Publikum hätte gejuchzt. Am Ende hatten alle die helle Freunde daran, wie die Südamerikaner ihren Erfolg feierten: Nach ausgelassenen Tänzen bildeten die Spieler, die teilweise T-Shirts mit der Aufschrift »Jesus liebt dich« in mehreren Sprachen trugen, einen Kreis und beteten inbrünstig.
»Der Glaube hilft uns einfach. Wir haben von Anfang an gesagt, wir müssen beten, wenn wir etwas erreichen wollen«, erklärte Parreira. Als Ronaldinho den Pokal in den Händen hielt, drückte Adriano dem so beliebten Kapitän einen dicken Kuss auf die Wange. »Sing Hallelujah!« hieß es auf der nicht enden wollenden Ehrenrunde.
»Buenas noches«, sagte dagegen José Nestor Pekerman mit leiser Stimme, während seine Augen Halt suchend durch den Presseraum irrten, als sei ihm noch ganz schwindelig vom brasilianischen Ballwirbel. »Es gibt Spiele, die sind wie ein Schicksalsschlag. Da sieht man von Anfang an, in welche Richtung es geht«, sagte Pekerman nach dem demütigenden 1:4-Debakel.
An diesem für Argentinien so bitteren Abend ging es nur in eine Richtung- in die von German Lux. Der Torhüter des zweimaligen Weltmeisters geriet zur Schießbudenfigur und erlebte die höchste Niederlage Argentiniens gegen Brasilien seit 1968 (ebenfalls 1:4). »Brasilien hat einfach großartig gespielt«, sagte Verteidiger Javier Zanetti von Inter Mailand nach der Lehrstunde. Pekerman gestand: »Wir wurden überrollt.«
Dabei hatte seine Mannschaft exakt drei Wochen zuvor in der WM-Qualifikation den Kontrahenten noch 3:1 geschlagen und dabei der »Seleção« in der ersten Halbzeit gleich drei Tore eingeschenkt. Pekermans Schlusswort: »Heute war es im Grunde wie in Buenos Aires - nur umgekehrt.«

Artikel vom 01.07.2005