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Definition einer Erkältung

Erkältung,
Urlaubstage,
Krankenschein


Von Andreas Schnadwinkel
Unter Medizinern und Patienten wird mal wieder über Sinn und Zweck von Antibiotika diskutiert. Bei Husten-Schnupfen-Heiserkeit sollen diese Medikamente gar nicht wirken, weil sie nur gegen Bakterien kämpfen können -Ênicht aber gegen Viren. 90 Prozent aller Erkältungen werden indes von Viren ausgelöst. Trotzdem verschreiben Hausärzte ihren Patienten häufig Antibiotika.
Anlass der Diskussion sind die Sommergrippe und die aktuelle Ausgabe des »Journal of the American Medical Association«. Darin haben britische Wissenschaftler eine Studie veröffentlicht, die im Kern zu dem Schluss kommt, dass bei Erkältungen weder der Besuch beim Arzt noch Arzneien die »Leidenszeit« spürbar verkürzen. Hätte es denn eine wissenschaftliche Untersuchung dafür gebraucht, dass der Spruch »Eine Erkältung dauert zwei Wochen, mit Arztbesuch 14 Tage« stimmt? Eigentlich nicht, doch ein Husten beschäftigt einen sogar meistens länger, so das Ergebnis der Studie. Dies sei aber kein Grund für ein Rezept, meint Dieter Köhler.
Der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie (Lungenheilkunde) wird mit den Worten zitiert, dass ein »akuter Husten nicht behandelt werden muss, solange es keinen Hinweis auf eine Lungenentzündung gibt«.
Das klingt hart, macht aber Sinn: Denn wenn Antibiotika bei winterlichen Erkältungswellen massenweise verschrieben und eingenommen werden, können sich resistente Bakterien leichter ausbreiten -Êund die Antibiotika verlieren so ihre Wirkung gegen gefährliche Krankheitserreger.
Simple Erkältungen sind der häufigste Grund, warum Menschen in Deutschland zu ihrem Arzt gehen. Dass sie neben einem Rezept manchmal auch einen »Gelben« bekommen, stört die Arbeitgeberverbände. Trotz der Halbierung des durchschnittlichen Krankenstandes von 1990 (25 Fehltage) bis 2004 (13) forderte jüngst Handwerks-Präsident Otto Kentzler, Arbeitnehmern bei Krankheit den Urlaub zu kürzen. Da dieser Vorschlag Unsinn ist, schränkte der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) schnell ein und sprach sich für Änderungen bei der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall aus: Ausfalltage bei Bagatellkrankheiten wie Erkältung sollten künftig nicht mehr bezahlt werden. Drei Karenztage pro Jahr schlug der DIHK für solche Fälle vor. Und der Verband fühlt sich bestätigt, weil wegen der Erkältungswelle zu Beginn dieses Jahres der Krankenstand im ersten Halbjahr 2005 um sieben Prozent gestiegen ist.
Womit wir wieder bei der Studie der britischen Forscher wären. Denn die Kernfrage ist: Was ist eine Erkältung? Sicher mehr als ein Kratzen im Hals und ein Kribbeln in der Nase. Wie würden sich Arbeitnehmer verhalten, wenn sie bei einer Erkältung zuhause bleiben wollten und dafür Urlaubstage opfern müssten? Einige kämen ganz bestimmt ins Büro und würden, solange sie Fieber hätten und infektiös wären, ihre Kollegen anstecken. Das kann es auch nicht sein.
Erst wenn sich Mediziner auf eine differenzierte und tragfähige Definition darüber einigen, was eine Erkältung ist, könnte man ernsthaft über die Vorschläge der Arbeitgeberverbände nachdenken. Bis dahin gilt bei Erkältungen das, was gute Hausärzte raten: Aspirin, um das Fieber zu senken, und Salbeibonbons, um den Rachenraum zu beruhigen. Beides gibt's in der Apotheke.

Artikel vom 15.07.2005