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Wallfahrtsort für die
Gourmets aus aller Welt
Starkoch Paul Bocuse hält seit 40 Jahren seine drei »Michelin-Sterne«
Er ist der bekannteste Koch der Welt - und das nicht nur, weil er zugleich auch der Beste ist. Paul Bocuse - er wird nächstes Jahr 80 - darf sich seit 40 Jahren mit drei Michelin-Sternen schmücken.
Sein Restaurant »L'Auberge du Pont de Collonges«, nahe Lyon an der Saône gelegen, gleicht einem Wallfahrtsort für Gourmets, die dort dem Genuss und dem Meister gleichermaßen huldigen. Paul Bocuse zelebriert nicht nur Kochkunst auf höchstem Niveau, keiner hat außerdem die Erlebnis-Gastronomie so kultiviert wie er. Er ist einer der bekanntesten Vertreter der »Nouvelle Cuisine«, die weniger opulent und kalorienreich ist und Wert auf erstklassige, frische Zutaten legt.
In seinem Restaurant geht es elegant und gediegen zu - aber stets mit Augenzwinkern. Dort sind die Kellner nicht vornehmer als ihre Gäste, sondern verstehen es ausgezeichnet, eine entspannte Atmosphäre zu schaffen, die sich ganz auf das Erlebnis eines guten Essens konzentriert.
Paul Bocuse ist ein Star zum Anfassen. Weil er die Küchenbrigade nur anleitet und beaufsichtigt, aber nicht mehr selbst den Löffel schwingt, hat er auch Zeit, sich den Gästen zu widmen. Auf einmal steht er in der Tür, hochgewachsen, klarer Blick, scharfe Hakennase - und tritt mit einem gewinnenden Lächeln an Tisch. »Bonjour, Monsieur, ich hoffe, sie fühlen sich wohl!« Schon eilt der Kellner herbei, denn natürlich haben fast alle Gäste eine Kamera dabei, um ihren Restaurantbesuch für die Daheimgebliebenen auf Zelluloid oder Mikrochip zu bannen. Paul Bocuse stellt sich zu jedem Besucher, er genießt es, dass seine Gäste sich geschmeichelt fühlen. Der Meister signiert Menükarten, beantwortet charmant Fragen - und dann gilt die Aufmerksamkeit wieder den Genüssen auf dem Teller.
Bocuse wäre nicht Bocuse, wenn er es nicht geschafft hätte, vom Elfenbeinturm der Haute Cuisine herabzusteigen. Er gibt sich volkstümlich, nicht nur in seinem Gourmet-Restaurant, sondern besonders in seinen vier Brasserien in Lyon, die er nach den vier Himmelsrichtungen benannt hat, und in denen er vier unterschiedliche kulinarische Konzepte verwirklicht. Da gibt es ein provencalisches, ein bretonisches, ein klassisch-traditionelles und ein internationales Restaurant. Sie sind beliebte Treffpunkte für die Einheimischen, aber auch Touristen finden dort ebenso exzellente wie preiswerte Speisen.
In Collonges hingegen zelebriert er die Hohe Schule der Kochkunst. Dort muss man zwischen 110 und 190 Euro für ein Menü investieren - und kommt somit preiswerter davon als in so manchem Ein- oder Zwei-Sterne-Restaurant an der Cote d'Azur oder in der Provence. Bocuse rümpft auch nicht die Nase, wenn ein Bus vor seinem Restaurant hält. So können die Gäste der Arosa-Kreuzfahrtschiffe, die seit dem Frühjahr auf der Rhône und der Saône verkehren, beispielsweise im Rahmen eines Gourmet-Arrangements den Besuch in Collonges buchen.
Es ist ein Gerücht, dass man einen Schmaus bei Bocuse von langer Hand planen muss. Natürlich gibt es Abende oder Wochenenden, an denen »nichts mehr geht«, aber wer mittags kommt, findet in aller Regel auch spontan einen Platz. Begrüßt werden die Gäste von Said, dem livrierten Diener, der nicht nur für die »Empfangs-Show« zuständig ist, sondern auch Geburtstagskinder oder Ehejubilaren ein Ständchen auf der Drehorgel bringt, wenn man denn vorher dem Personal einen diskreten Hinweis gibt. Viele Besucher verweilen auch erst einmal einige Minuten vor der Tür, um sich die liebevoll gestaltete Hausfassade anzuschauen - und die Wandmalereien, die dem Meister huldigen. Die pralle Form der Selbstdarstellung kann man Paul Bocuse aber nicht übel nehmen. Er beweist seit nunmehr 40 Jahren, dass er der Beste ist - längst ist sein Name zum Synonym für edle Kochkunst geworden. Bocuse ist gleichsam eine Marke: Name und Initialen schmücken Porzellan und Tafelsilber, Konterfeis die Wände.
Auch der wohl berühmteste Kochwettbewerb der Welt ist nach dem Doyen der französichen Küche benannt. Der Wettbewerb um den »Bocuse d'Or« in Lyon ist so etwas wie die heimliche Weltmeisterschaft der Kochkunst. 1987 hat Bocuse dieses außergewöhnliche kulinarische Schauspiel ins Leben gerufen, das seither alle zwei Jahre im Rahmen der International Hotel Catering & Food Trade Exhibition Eurexpo über die Bühne geht. »Bei dem Ereignis kommen die bedeutendsten Köche der Welt zusammen, um diejenigen zu unterstützen, die antreten, eine gastronomische Tradition zu verteidigen, die Ewigkeitswert besitzt: die Kochkunst als Symbol des Lebens«, erläutert der Meister seine Motivation für diese Preis-Stiftung. Zu seinen Schülern gehören übrigens auch die deutschen Köche Eckart Witzigmann und Heinz Winkler.
Thomas Albertsen

Artikel vom 02.07.2005