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Schüler (14) stirbt bei
tragischem Experiment

Daniel schnürte sich die Luft ab - TV-Serie als Vorlage?

Von Christian Althoff
Steinhagen/Bielefeld (WB). Ein 14 Jahre alter Schüler aus Steinhagen (Kreis Gütersloh) hat sich in seinem Zimmer eine Kordel um den Hals gezogen - offenbar, um unter dem Sauerstoffmangel bewusstseinserweiternde Erfahrungen zu machen. »Das Experiment ist außer Kontrolle geraten und hat zum Tod des Jungen geführt«, berichtete gestern Polizeisprecher Karl-Heinz Stehrenberg.

Daniel war das älteste von vier Kindern der Familie C. Er hatte noch eine Schwester (2) und zwei Brüder (10 und 12 Jahre alt). Für die Eltern steht fest, dass der 14-Jährige Opfer eines Unfalls geworden ist: »Er hatte keinen Grund, sich das Leben zu nehmen«, sagte sein Vater Thomas C. Er nimmt an, dass der 14-Jährige durch die Sat 1-Fernsehserie »Alpha Team« dazu angeregt worden ist, sich die Luft abzuschnüren. In der 169. Folge der Krankenhausserie ging es am vergangenen Dienstag um ein Mädchen, das bewusstlos in die Klinik gebracht worden war. Eine Freundin erzählte den Ärzten, man habe sich absichtlich gegenseitig gewürgt, um in den Zustand der Sauerstoffunterversorgung zu gelangen und »ein Licht« zu sehen.
Am Morgen, nachdem diese »Alpha Team«-Folge gesendet worden war, hatten die Eltern Daniel tot in seinem Zimmer entdeckt. Sein Kopf hing an einer Schlinge, die am Fenstergriff befestigt war. »Als Freunde und Bekannte von Daniels Tod erfuhren, haben sie uns sofort auf die TV-Sendung aufmerksam gemacht und eine Verbindung hergestellt«, erzählte der trauernde Vater, der die TV-Folge selbst nicht gesehen hatte. Sat 1-Sprecherin Christina Faßler ist dagegen skeptisch: »Nachdem wir von dem tragischen Tod erfahren haben, haben wir uns den Film noch einmal angesehen. Uns scheint ein Zusammenhang weit hergeholt, zumal sich die Darsteller in der Alpha-Team-Folge gegenseitig gewürgt und keine Kordel benutzt haben.«
Trotzdem nimmt die Polizei einen Unfall an. »Wir schließen einen Freitod aus. Es gibt auch keinen Abschiedsbrief«, sagte Polizeisprecher Stehrenberg. Das familiäre Umfeld sei in Ordnung, und auch in der Schule habe der Achtklässler keine Probleme gehabt. Das bestätigt auch Karl-Heinz Gödeke, der stellvertretende Leiter der Gesamtschule Bielefeld-Brackwede: »Daniel war ein unauffälliger Schüler, der etliche Freunde hatte. Sein Tod kam für uns aus heiterem Himmel, und wir sind bis heute ratlos.« Die Lehrer seien inzwischen im Unterricht auf das gefährliche »Spiel« eingegangen und hätten den Mitschülern klargemacht, welches hohe Risiko sie damit eingingen.
»Eine solche Risikoabschätzung nehmen Kinder und Jugendliche allerdings in der Regel nicht vor«, weiß Jugendforscher Dr. Christian Palentien von der Universität Bielefeld. »Die sehen oft nur den Augenblick und denken nicht an die Folgen.« Tragischerweise seien derart gefährliche »Spiele« unter vielen Jugendlichen verbreitet: »Bei Mädchen kann das schon im Alter von elf Jahren anfangen, bei Jungen zwei, drei Jahre später«, sagte der Forscher. Würgen oder Schläge gegen den Kehlkopf bis zur Ohnmacht würden in Gruppen als Mutproben gelten, wer sich ohne Zeugen die Luft abschnüre tue das dagegen zumeist, um Grenzerfahrungen zu machen.
Dass Daniel allein durch die Sat 1-Sendung dazu gebracht worden sein könnte, das gefährliche Experiment zu wagen - das schließt Palentien allerdings aus: »Es gibt zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen, die zeigen: Medien können einen ohnehin vorhandenen Wunsch, etwas zu tun, verstärken. Alleinige Auslöser für eine Tat sind sie hingegen nicht.«
Gestern ist Daniel, der später Astronom werden wollte, zur letzten Ruhe gebettet worden.

Artikel vom 29.06.2005