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Glauben Sie auch, dass sie mit falsch dimensionierten Stahlmasten und nicht richtig genutzten Ballasttanks zu tun hat? Verlegen Sie sich deshalb auf Dampfer?« Er zückte sein schwarzes Notizbüchlein und den Bleistift und blickte auffordernd hoch.
»Wir verlegen uns auf alles, was die Kunden wünschen«, gab der Vorarbeiter widerwillig preis. »Also, mein Name ist Holger Carstensen. Ich bin hier Werftmeister.«
»Bestens, Herr Carstensen«, sagte Hansen erleichtert, »da bin ich doch an genau den Richtigen geraten. Würden Sie mir für meinen Artikel Auskunft geben?«
Carstensen nickte.
»Sie haben schon Recht, Hansen«, sagte Carstensen. »Die Masten der stählernen Segler machen die meisten Probleme, sie lassen sich nicht einfach berechnen. Durch viele schwere Havarien in der jüngsten Zeit wissen wir inzwischen, dass sie häufig zu elastisch abgestagt werden. Eben nach altem Brauch auf Holzschiffen. Wir müssen umlernen. Manche Werften gehen inzwischen zu neuartigen Spannschrauben über, aber es gibt noch keine hinreichenden Erfahrungen.«
»Und die Ballasttanks, Herr Carstensen?«
Carstensen schob seine Mütze nach hinten. »Tja, bis die sich durchsetzen konnten, verging einige Zeit. Die Reeder sahen meistens nicht ein, dass sie kostbaren Laderaum für Sand hergeben sollten, besonders die Partenreeder, die meistens Kaufleute aus dem Binnenland sind É«
»Das erwähne ich lieber nicht«, flocht Hansen rasch ein, »unter unseren Badegästen befinden sich wahrscheinlich auch Partenreeder.«
Carstensen zuckte mit den Schultern.
Der Werftmeister interessierte sich nicht für Hansens Meinung. Er beschloss, fortan den Mund nur an der richtigen Stelle zu öffnen.
»Die Tanks wurden manchmal falsch positioniert und waren dadurch nutzlos«, fuhr Carstensen in seinem Vortrag fort, »oder sie wurden gar nicht gefüllt.«
»Herr Christiansen erwähnte, dass die Olivia Probleme mit ihren Tanks hätte, glaube ich.«
Ein scharfer, aufmerksamer Blick traf Hansen. »Sie hat keine Probleme mit dem Ballast!«
»Dann habe ich das falsch verstanden«, gab Hansen eilig zu. »Es ist für einen Laien wie mich nicht einfach, auf Anhieb alle Fachausdrücke zu verstehen. Ich lerne noch. Vermutlich war die Olivia sein Beispiel für einen Dampfer, der zum Segelschiff umgebaut wurde.«
»Vermutlich.«
»Ist sie zufällig im Dock? Ich würde ein solches Schiff gerne mal sehen.«
»Sie war hier vor einigen Wochen. Aber nur kurz. Sie ist tadellos in Schuss.«
Der Werftmeister war nicht mehr so gesprächig wie noch vor einigen Minuten. Es schien Hansen an der Zeit, von der Olivia abzulenken und sich einem anderen Thema zuzuwenden. »Auf Föhr erzählte man mir, dass die Schiffe, die früher am Sklavenhandel teilnahmen, besondere Einbauten hatten. Ist Ihnen so etwas auch bekannt?«
»Sklavenhandel?«, hieb Carstensen heraus und fing sich dann wieder. »Fünfstöckige hölzerne Gestelle, natürlich.«
»Haben Sie selbst solche schon mal eingebaut?«
»Hören Sie, Hansen, der Sklavenhandel ist seit vielen Jahren verboten! Danach hätten Sie meinen Großvater fragen können. Und er hätte nein gesagt! Wir hatten nie etwas mit Sklavenhandel zu tun!«
»Ich will doch Sie nicht beschuldigen, Herr Carstensen. Es interessierte mich nur«, sagte Hansen in besänftigendem Ton. Es war nicht zu verkennen, dass auch Carstensen dieses Thema nicht kalt ließ. »Bei einer Recherche hört man dies und das und auch viel Widersprüchliches. Unter anderem erfuhr ich, dass nach Brasilien auch heute noch Sklaven gehandelt werden.«
»Ausgeschlossen«, entfuhr es Carstensen. »Achtzehnachtundachtzig hat auch Brasilien den Sklavenhandel verboten! Er ist in der ganzen Welt geächtet.«
»Ach so«, sagte Hansen lahm, dem seine Hypothese wie Sand zwischen den Fingern verrann. Der Werftmeister schien gut über den Sklavenhandel Bescheid zu wissen. Und ihn zu verachten. Um ihn nicht vor den Kopf zu stoßen, wagte er nicht mehr, ihn direkt nach der Möglichkeit einer Beteiligung der Olivia am Sklavenhandel zu fragen.
Er musste umgekehrt vorgehen, den Beweis führen, dass die Olivia mit dem Havaristen vor Hooge nicht identisch war. »Womit und welche Route fährt eigentlich ein umgerüstetes Schiff wie die Olivia heutzutage?«
»Meistens mit Massengütern. Getreide, Kohle, Salz, zum Beispiel. Hören Sie, Hansen, meine Geduld ist jetzt am Ende. Die Mittagspause auch.«
»Ja, sicher, eine Bitte noch«, sagte Hansen hastig. »Wäre es möglich, den Riss der Olivia einzusehen? Nur so als Beispiel É«
»É für diese Art Schiffe, ich habe Sie schon verstanden.« Carstensen sah sich um, entdeckte den Lehrling, der gerade in der Hallentür erschien, und winkte ihn zu sich.
Hansen schluckte trocken vor Aufregung. Er hätte nicht gedacht, dass es so einfach sein würde, an Unterlagen über die Olivia heranzukommen.
Carstensen begann dem jungen Mann ins Ohr zu flüstern, der ein höchst erstauntes Gesicht machte. Nach einem verstohlenen Seitenblick auf Hansen rannte er aus der Halle. »Ich lasse den Riss holen«, verkündete der Werftmeister mit hohler Stimme. »Es dauert ein paar Minuten.«
Hansen nickte und betrachtete angespannt den Neubau, ohne viel zu sehen. Plötzlich bemerkte er, dass sich die Atmosphäre verändert hatte. Irgendwie strahlte Carstensen jetzt Feindseligkeit aus. Hinter Hansens Rücken schien etwas vorzugehen.
Bedächtig schob er seine Schreibutensilien in die Hosentasche und begann am Schiffsrumpf entlangzuschlendern, als ob er ihn besichtigen wollte. Mit einem Seitenblick vergewisserte er sich, dass der Meister ihm nicht folgte. Die Hände in den Kitteltaschen, betrachtete dieser scheinbar interessiert den Boden und scharrte mit einem Arbeitsstiefel im schmierigen schwarzen Dreck herum.
Die bis ins Wasser reichenden Hallenwände versperrten Hansen die Sicht nach rechts und links. Das Einzige, das er sehen konnte, waren die kräftigen Dalben zum Festmachen der zu Wasser gelassenen Schiffe, das ölige schwarze Wasser, in dem der gewöhnliche Unrat aller Häfen schaukelte, und jenseits der Förde das Ballastufer.
Am anderen Ende der Halle quietschte die Tür, die für Hansen hinter dem Neubau verborgen war. Nervös drehte er sich um.
In seinem Blickwinkel erschien der Werftmeister mit hochrotem, erregtem Gesicht. »Ich habe Ihnen keinen Augenblick geglaubt, Hansen, oder wie Sie heißen!«, schrie er, und der Hall verzerrte seine Stimme derart, dass Hansen Mühe hatte, ihn zu verstehen.
Aber der Anblick des Mannes reichte, um ihn rückwärts zum Wasser hinunter zu treiben.
»Wahrscheinlich ist auch der Name Hansen falsch. Ihr auffälliges Interesse für die Olivia macht Sie verdächtig! Ich werde Sie zu Nils Christiansen expedieren lassen! Nie im Leben hat der Sie geschickt! Aber er wird herausbekommen, was Sie im Schilde führen!«
Im gleichen Augenblick tauchten beiderseits des Schiffsrumpfes zwei vierschrötige Männer mit Schmiedehämmern in den Händen auf, die mit stoischer Miene auf Hansen zuschritten.
In rasender Geschwindigkeit streifte er Jacke und Schuhe ab und hechtete ins Wasser.
Noch nie vorher war Sönke Hansen in einem Hafen um sein Leben gekrault. Als er irgendwo im Schatten eines mächtigen Dalbens auftauchte, um vorsichtig zur Schiffshalle zurückzublicken, begriff er, welches Glück er gehabt hatte.
Er war nicht an einen der schwimmenden Arbeitspontons geprallt, die an Tauen befestigt im Wasser trieben, und war auch von keiner Eisenkette aufgehalten worden. Obendrein lagen offenbar die Ruderboote, die die Werft besitzen musste, auf der anderen Hallenseite.
Denn noch war niemand hinter ihm her. Hansen hörte vereinzelte Rufe, ohne sie verstehen zu können, und sah kurze Zeit später einen Mann, der an der Kaimauer entlangging, um sich an mehreren Stellen darüber zu beugen und zwischen den Stützpfählen ins Wasser zu spähen.
Allzu viel Aufsehen schien Carstensen nicht zu wünschen. Nach einigen Minuten bewies der anschwellende Lärm in der Werft, dass die Männer wieder an der Arbeit waren.
Glück gehabt.
Hansen tauchte und legte unter Wasser ein beträchtliches Ende zurück. Später schwamm er mit ruhigen Zügen weiter, bemüht, das Wasser so wenig wie möglich zu bewegen und kein Aufsehen an Land zu verursachen. Erst als er vor einem Silo im Fischerhafen eine neue Spundwand ohne viel Bewuchs entdeckte, kletterte er nach oben.
Eine Weile versteckte er sich hinter einem Korbstapel und suchte das unübersichtliche Ufer ab, ohne einen Verfolger entdecken zu können. Schließlich machte er sich auf der Kaimauer auf den Weg stadteinwärts, schwankend wie ein Betrunkener und jederzeit bereit, wieder in das Hafenwasser zu springen. Endlich kam das Rumfässchen der Rumboddel in Sicht.
Kurze Zeit später stand er ein zweites Mal tropfend vor dem Wirt.
»Mir scheint, ich sollte ständig eine Extragarnitur Kleidung für Sie bereithalten.« (wird fortgesetzt)

Artikel vom 04.07.2005