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Leitartikel
Schröders USA-Besuch

Nur eine halbe Stunde
Freundschaft


Von Jürgen Liminski
Wäre das Verhältnis zwischen Bundeskanzler Schröder und dem amerikanischen Präsidenten Bush normal, man könnte von einem Abschiedsbesuch sprechen. Aber es ist nicht normal und deshalb passt das Bonmot eines Politikwissenschaftlers von der bekannten Johns Hopkins Universität besser zum Denken im Weißen Haus. Schröder sei keine lahme Ente, meinte der Politologe, sondern eine »tote Ente«.
Auf die amtliche Feststellung dieser Kurzanalyse der Kanzlerlage Mitte September scheint man sich in Washington zu freuen. Natürlich verhält man sich bis zum Wahltermin diplomatisch höflich und zurückhaltend. Aber daß dem Kanzler gerade mal eine halbe Stunde für das Treffen mit dem Präsidenten eingeräumt wird, manifestiert auch protokollarisch den Stellenwert der ehemaligen Freundschaft.
Der Machtpolitiker Schröder wäre der letzte, dem das nicht bewußt ist. Trotzdem nimmt er die Strapatze einer Blitzvisite über den Atlantik auf sich. Er konnte annehmen, daß Bush ihn korrekt behandeln würde und das reichte für ein paar nette Bilder und Schlagzeilen. Solange die SPD mit sich selber um das Wahlprogramm ringt, gilt die Arbeitsteilung: Münte hält die Linken klein und Gerhard besetzt den Platz in den Medien.
Aber Kanzler und Präsident hatten in ihrer halben Stunde durchaus auch einige gemeinsame Themenfelder anzutippen: Die Lage im Iran nach den Wahlen des Hardliners Ahmadineschad, die EU-Krise, die Reform der UNO. Beim Thema Iran dürfte man weitgehend in der Sorge um das islamistische Fingern an der Bombe übereinstimmen und gemeinsam ratlos bleiben. Bei der EU-Krise wird Bush aufmerksam zuhören. Seit Ankara die Annäherung zwischen Amerikanern und Kurden mit wachsendem Mißtrauen kommentiert, ist es vorbei mit der Herzlichkeit zwischen Erdogan und Bush und damit auch mit der bedingungslosen Unterstützung Washingtons für einen türkischen EU-Beitritt. Jetzt wollen die Amerikaner erst mal wissen, wie es in Europa überhaupt weitergeht.
Geduldig zugehört hat Bush auch, was Schröder ihm zum Thema UNO zu sagen hatte. Den Amerikanern ist durchaus an einer funktionsfähigen UNO gelegen, aber gerade das Beispiel EU zeigt ihnen, daß zu viele Köche den diplomatischen Brei schon versalzen können. Dieses Risiko wird man nicht eingehen, es sei denn, die Franzosen und Briten lösten ihr nationales Veto-Recht in einem Veto-Recht der EU auf. Das wäre sicher vernünftig, ist aber auf absehbare Zeit utopisch. In dieser Frage steht selbst des Kanzlers Freund Chirac dem gemeinsamen Rivalen Bush ziemlich nah, jedenfalls näher als einer toten Ente.
Anders verhält es sich mit der Frage eines ständigen Sitzes ohne Veto-Recht. Aber Bush hat keinen Grund, dem Kanzler jetzt in der UNO-Frage entgegenzukommen. Wenn er es tut, dann Ende September während der UNO-Vollversammlung - mit einem Handkuss für die Nachfolgerin.

Artikel vom 28.06.2005