25.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Das Kino im eigenen Haus

Bei Fernsehern ohne 16:9-Bildformat stören schwarze Balken den Blick

Von Dietmar Kemper
Bielefeld (WB). »Was früher die Hausbar war, ist heute das Heimkino«, sagt Medienwissenschaftler Jo Groebel. Die neuen technischen Möglichkeiten des Fernsehens bedeuteten für das traditionelle Kino eine »massive Herausforderung«.

Jo Groebel leitet das Europäische Medieninstitut in Düsseldorf und beobachtet gespannt den Siegeszug des 16:9-Bildformates in Privathaushalten. »16:9 isoliert betrachtet, ist nicht revolutionär, aber die Kombination mit dem hochauflösenden Fernsehen HDTV bedeutet einen weiteren Schritt zu einem kinoähnlichen Wohnzimmer«, sagte der Experte am Freitag dieser Zeitung. HDTV mache Fernsehen zum »Erlebnisort« - die Darstellung sei derart brillant, dass dem Zuschauer »nicht geschminkte Leute sofort auffallen«. Verlierer der technischen Aufrüstung im Wohnzimmer seien die Kinobetreiber. Groebel: »Sie leiden auch deshalb darunter, weil DVDs teilweise schon drei Monate nach Kinostart in den Handel kommen.« Spielfilme auf DVD wirken erst richtig, wenn der Fernseher das breite Kinoformat wiedergeben kann. Ungewollt fördert die Filmwirtschaft somit den Absatz von TV-Geräten auf neuestem Stand.
Immer mehr Deutsche richteten sich daheim ihren eigenen Filmpalast ein, betonte Groebel: »Kinos müssen schließen, die Stühle werden billig auf Flohmärkten an Privatleute verscherbelt, die sie dann im Kino im eigenen Haus aufstellen.« 16:9, Heimkino-Bildformat genannt, verdrängt zunehmend das klassische 4:3-Format. Die Hälfte ihres Umsatzes machten die Fernsehhersteller im vergangenen Jahr mit Breitbild-TV-Geräten. Bis zur Fußball-WM 2006 werde der Anteil auf 75 Prozent steigen, schätzt die Gesellschaft für Unterhaltungselektronik (gfu) in Frankfurt. ARD und ZDF kündigten an, das Sportereignis nur im 16:9-Format auszustrahlen.
»Wer noch einen Fernseher hat, der nicht auf den 16:9-Standard umgestellt werden kann, hat dann oben und unten zwei schwarze Streifen«, sagte gfu-Sprecher Roland Stehle am Freitag dieser Zeitung. Es gehe aber nicht nur um Fußball, auch der Straßenfeger der ARD, der »Tatort«, werde nur noch im 16:9-Format gedreht. 16:9 hält Stehle für ideal: »Es entspricht dem Sehverhalten der Menschen, die mehr in die Breite als in die Höhe sehen.« Außerdem sei das Format durchs Kino bekannt und biete mehr Bildinhalte. Denen, die sich einen HDTV-tauglichen Breitbildfernseher kaufen wollen, empfiehlt Stehle auf das Gütesiegel »HD ready« zu achten.
Jeder Haushalt in Deutschland ist statistisch mit 1,4 Fernsehgeräten versorgt. Was passiert mit den alten? »Die werden weiter für den Nebenbei-Konsum, zum Beispiel in der Küche, genutzt«, sagte Jo Groebel. HDTV-Geräte mit 16:9-Format förderten dagegen das gezielte Fernsehen. Das technisch produzierte Erlebnis überfordere den Menschen nicht. Groebel: »Die Umgewöhnung verläuft schnell. Das Auge irrt nicht verloren über den Bildschirm.«

Artikel vom 25.06.2005