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Das Wort zum Sonntag

Von Pfarrer Hans-Jürgen Feldmann


Jeder Mensch ist von Natur aus religiös, nicht gleichbedeutend mit fromm oder gläubig. Doch jeder stellt Fragen, die über das Sichtbare und Erklärbare hinausgehen. Woher komme ich und wohin gehe ich, wenn ich diese Erde wieder verlasse? Wem bin ich verantwortlich? Was bedeutet »Schicksal« - ein nur blindes Walten oder der weise Wille und liebevolle Plan eines Höheren? Es sind die Grundfragen des Lebens Auch wer sie sich abgewöhnt hat, dem waren sie zumindest in der Kindheit vertraut: Wo ist der verstorbene Großvater jetzt? Wo war ich selbst vor meiner Geburt? Wer hat die Welt gemacht? Wer regiert ihren Lauf?
Auf alle diese Fragen kann ein Mensch nicht selbst wirklich antworten. Man kann es immer auch anders erklären. Darum tun sich viele auch mit den Antworten der Bibel oft so schwer und geben sich mit ihnen nur ungern zufrieden. Sie verlangen etwas darüber hinaus, das diese Antworten bekräftigt oder ihre Richtigkeit beweist. Sie fordern, um mit dem Apostel Paulus zu sprechen, »Zeichen und Weisheit«.
Ein Zeichensucher will Gott aus besonderen Ereignissen oder Erfahrungen im eigenen Leben erschließen und meint sogar, er hätte darauf einen Anspruch. Im Grunde möchte er Gott jedoch nur dessen Rolle vorschreiben, damit er an ihn glauben kann. Aber darauf wird Gott sich niemals einlassen.
Wer dagegen Weisheit fordert, dem genügt es nicht, vor den unzähligen Wundern in Gottes Schöpfung als vor seinen Altären ehrfürchtig niederzuknien, um im eigenen Dasein seine geheimnisvollem Spuren zu entdecken. Vielmehr verlangt es ihn nach einer lückenlosen Gedanken- und Beweiskette, an deren Ende mit zwingender Logik ein anderer als Gott stehen müsste.
Er macht damit Gott wie zu einem Gegenstand dieser Welt und versucht, ihn aus seinen Wirkungen in der Natur oder der Geschichte abzuleiten. Im günstigsten Falle ahnt er dabei eine höhere Macht hinter den sichtbaren Kulissen, eine Kraft, die nicht näher zu umschreiben ist und die dennoch wirkt. Aber dabei geschieht etwas Ungewolltes: Der lebendige Gott selbst verhüllt und entzieht sich immer mehr, scheint sogar selbst die Gründe zu liefern, die an ihm zweifeln lassen und gegen ihn sprechen. Dann sagen die einen: Wir können nicht oder nicht mehr an ihn glauben. Für andere wird Gott zu einem toten Begriff, einer blutleeren Gedankenhülse, auf die niemand im Leben und Sterben vertrauen kann und die letztlich auch gleichgültig ist.
Es ist ähnlich wie in der Liebe: Muss sie erst unter Beweis gestellt werden, ist sie eigentlich schon tot; denn jedes »Beweismaterial« kann immer auch anders gedeutet werden. Die Liebe Gottes erschließt sich für Paulus am tiefsten im gekreuzigten Christus. Wer »Zeichen« oder »Weisheit« fordert, kann dies nur für eine Dummheit oder einen Skandal halten.
Ganz anders dagegen der Dichter Heinrich Heine: »Wer seinen Gott leiden sieht, trägt leichter die eigenen Schmerzen. Die vorigen heiteren Götter, die selbst keine Schmerzen fühlten, wussten auch nicht, wie armen gequälten Menschen zumute ist, und ein armer gequälter Mensch konnte auch in seiner Not zu ihnen kein rechtes Herz fassen. Es waren Festtagsgötter, um die man lustig herumtanzte. Sie wurden deshalb auch nie von ganzem Herzen geliebt. Um vom ganzem Herzen geliebt zu werden, muss man leidend sein. Das Mitleid ist die letzte Weihe der Liebe, vielleicht die Liebe selbst. Von allen Göttern, die jemals gelebt haben, ist daher Christus derjenige Gott, der am meisten geliebt worden ist.«

Artikel vom 25.06.2005