02.07.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 


Im Suff?«
»Nein. Er trinkt nie viel. Ich glaube eher, dass es ihm Spaß macht, andere, die über den Durst getrunken haben, zu reizen.«
Das deckte sich mit dem, was Peter Müller ihm erzählt hatte. »Wovon lebt er?«
Der Wirt zuckte die Achseln, während er das Kleiderpaket nach hinten brachte und wieder zur Theke zurückkehrte. »Gelegenheitsarbeiten. Es heißt, dass ihn Nielsens Rum-Kontor beschäftigt.«
»Ein seriöses Kontor einen Streithahn?«
»Genau da liegt der Hase im Pfeffer! Ich habe mir öfter Gedanken darüber gemacht. Manchmal scheint es mir sogar, als ob Fiete absichtlich Streit anzettelt. Seine Opfer sind immer die Arbeiter der anderen Rumdestillen, und er weiß es jedes Mal so zu wenden, dass die Männer etwas aus ihrem Betrieb ausplaudern. Das dürfen die bestimmt nicht, aber Fiete ist sehr geschickt darin, und das Bier, das er spendiert, lockert die Zungen.«
»Was, zum Beispiel, erzählen sie denn so?« Hansen war ganz hellhörig geworden.
Der Wirt überlegte einen Augenblick. »Wie viele Fässer sie in letzter Zeit abgefüllt haben. Meistens fängt es so an. Dann beschuldigt Fiete Rum den Mann, ein Aufschneider zu sein. Der ärgert sich, und Fiete lädt ihn zur Versöhnung zu einem Bier ein, worauf der Mann sich bemüht, seine Behauptung zu beweisen. Später nennt er Namen von Kunden. Wer am meisten bestellt. Wie viele Fässer sein Hersteller im Zollpackhaus lagern lässt. Und manchmal sogar Einzelheiten der Rezeptur.«
Hansen gab einen überraschten Pfiff von sich. »Man könnte ihn also für eine Art Spion bei der Konkurrenz halten.«
»Das trifft es wohl. Seltsamerweise merkt es keiner außer mir, und ich habe es mir im Laufe der Zeit so zusammengereimt. Aber verraten Sie niemandem, dass ich es erzählt habe.«
»Ganz gewiss nicht. Dabei fällt mir ein«, fügte Hansen nachdenklich hinzu, »in welche Kneipe gehen denn die Angestellten von Nielsens Kontor?«
»Deren Arbeiter hängen im Schmiedehammer herum, als gäbe es da Freibier«, sagte der Wirt grollend. »Von denen kommt kein Einziger zu mir. Und die Angestellten vergnügen sich natürlich in der Stadt, für Hafenkneipen sind sie sich zu fein.«
»Schmiedehammer, das hört sich nach Werft an É?«
»Genau, da ist er auch. Zwischen Flensburger Schiffbau-Gesellschaft und Fördewerft. In den Schmiedehammer gehen auch die Leute von der Fördewerft, die Nielsens Schiffe warten. Aber dass Sie mir nicht dorthin abwandern, wenn Sie nach Fiete Rum suchen!«
»Nein, bestimmt nicht«, versprach Hansen lachend. »Ich bin ein treuer Mann.«
Doch, das war er. Trotzdem war er nicht ganz sicher, ob Gerda ihm zustimmen würde. Und Jorke? Mit einem Lächeln auf den Lippen wanderte Hansen an der Schiffbrücke entlang stadtauswärts.
Vor dem Zollpackhaus herrschte geschäftiges Treiben. Ein Zweimaster hatte angelegt, und auf der Zollwaage wurden Säcke und Fässer abgewogen. An Nielsens Rum-Kontor war hingegen das große Tor geschlossen, und das ganze Gebäude wirkte unbelebt.
Vorsichtshalber tat Hansen so, als ob ihn der Ballastberg auf der anderen Fördeseite mächtig interessiere, schalt sich dabei aber schon selber närrisch. Je mehr Zeit seit seinem Beinaheunfall auf dem Dampfer verstrich, desto unwahrscheinlicher kam ihm ein Zusammenhang mit dem Rum-Kontor vor. Auch dass der Anschlag tatsächlich ihm selbst gegolten hatte, wollte er nicht mehr recht glauben. Vielleicht war er ebenso mit einem Unbekannten verwechselt worden wie Boy Jensen.
Eine handfeste Tatsache hingegen war die dicke Lüge des Prokurators von Nielsen. Mit der Olivia stimmte irgendetwas nicht, und er war fest entschlossen, ihr Geheimnis zu lüften und herauszubekommen, welche Rolle sie für die Optanten spielte. Für den Besuch der Werft war er genau richtig angezogen, auch wenn Frau Godbersen anderer Meinung war: Auf den ersten Blick konnte er als einfacher Arbeitsuchender im besten Anzug durchgehen.
Die Hallen der Werftanlagen waren schon von weitem zu sehen. Wieder trieb der Wind ihm den Gestank und das Geblöke von Vieh entgegen. Noch bevor er die Fördewerft erreichte, entdeckte er in der Hauptzufahrtstraße zu den Werftanlagen den Schmiedehammer. Jetzt zur Mittagszeit hatte dieser anscheinend gerade aufgemacht, denn Männer in Arbeitsanzügen gaben sich die Klinke in die Hand.
Das passte ihm gut. Mit etwas Glück würde er in der Werfthalle jemanden auftreiben, der ihm unter vier Augen etwas über die Olivia erzählen konnte.
Unversehens stand er mitten im Gelände der Werft. Zur Linken hatte er ein respektables Bürgerhaus, das wohl die Geschäftsleitung und die Verwaltung enthielt, und zum Wasser hin lagen zwei große Hallen.
Aus dem Verwaltungsgebäude kam gerade ein Mann in Arbeitskleidung. Seine Haltung und sein Gesichtsausdruck ließen erkennen, dass er kein einfacher Arbeiter war, vielleicht Vorarbeiter oder Ähnliches. Hansen überlegte, ob er ihn auf dem Hof ansprechen sollte, dann entschied er sich, ihm in die Halle zu folgen. Hier draußen waren zu viele Zeugen.
Noch bevor die schwere Tür von selbst ins Schloss schlug, schlüpfte er mit klopfendem Herzen hindurch.

Die Halle war zum Wasser hin ganz offen. Auf einer Slipanlage, deren Schienen im Hafenwasser mündeten, stand der Rumpf eines Eisenschiffes. Und außer dem Mann, dem er gefolgt war, war niemand anwesend.
»Schnittiger Neubau«, sagte Hansen bewundernd. »Ein Dampfer? Könnte ich einen Augenblick mit Ihnen sprechen?«
Der Blick des Mannes glitt zufrieden über die Eisenplatten, bevor er sich Hansen zuwandte. »Ein Dampfer. Neubau«, bestätigte er. »Wer sind Sie? Hat Herr Vollertsen Sie zu mir geschickt? Derzeit brauche ich niemanden.«
»Herr Christiansen vom Rum-Kontor«, verbesserte Hansen. »Ich schreibe für meine Zeitung über Schiffseigner, Werften und ihre Neubauten im Bereich Schleswig. Sie glauben gar nicht, wie sich die Leser dafür interessieren, vor allem die Badegäste aus dem Binnenland.«
»Sie schreiben? Von den Flensburger Nachrichten sind Sie nicht.«
»Nein, nein, habe ich das nicht gesagt?«, entgegnete Hansen jovial und spürte selbst, dass ihm die Glaubwürdigkeit fehlte. »Ich bin Mitarbeiter der Föhrer Nachrichten. Ein Artikel über die Wyker Schiffswerft und die Henriette ist mein jüngster Beitrag zum Thema. Seither weiß ich auch um die Nützlichkeit von Arbeitsanzügen, aber bei unserem Hungerlohn É«
»Aha.«
Der Mann kam Hansen kein Stück entgegen, aber sein anfängliches Misstrauen schien sich gelegt zu haben. »Hansen ist mein Name«, sagte er und fuhr forsch fort: »Darf ich Sie fragen, wie Sie die Probleme der mangelnden Stabilität bei den Großseglern sehen?

(wird fortgesetzt)

Artikel vom 02.07.2005