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Leitartikel
EU-Ratspräsident Blair

London steht
vor einer
Bergetappe


Von Dirk Schröder
Am kommenden Freitag nun übernimmt Großbritannien die EU-Ratspräsidentschaft. Premierminister Tony Blair hat dann ein halbes Jahr Zeit, zu zeigen, dass er wirklich der »leidenschaftliche Europäer« ist, als der er sich bereits dem Europaparlament vorgestellt hat. Natürlich braucht Europa Reformen und die Diskussion, die Blair angestoßen hat, ist dringend notwendig.
Doch Vorsicht ist angesagt, wenn sich Blair jetzt als der große Reformer in den Vordergrund spielt. Wenn man Blair glauben will, akzeptiert er zwar kein Europa, das nur eine Freihandelszone ist. Doch ein Blick in die Vergangenheit zeigt, dass Blair eigentlich immer gegen eine politische Einigung gearbeitet hat. Das Schengen-Abkommen gehört zu diesem politischen Europa ebenso wie der Euro. Die Briten sind hier wie in vielen anderen Kernbereichen aber nicht dabei.
Als EU-Ratspräsident will sich Blair nun an die Spitze der Modernisierer in Europa setzen. Wenn da man nicht der Bock zum Gärtner gemacht wird. Mit einer rhetorisch brillanten Rede hat der britische Premier bereits versucht, die Europaabgeordneten auf seine Seite zu ziehen. Das ist ihm zum Teil auch gelungen. Doch die Europäer müssen aufpassen, dass Blair nicht nur sein Spielchen mit ihnen treibt, mit dem Mantel des überzeugten Europäers nur den reformunfähigen Anti-Europäer verdeckt hat, um nationale Interessen durchzusetzen.
Es besteht kein Zweifel daran, dass Blair nach dem »Non« der Franzosen und dem »Nee« der Niederländer die Krise in Europa mit seinem »No« zu einer Einigung über die Finanzen auf die Spitze getrieben hat. Dabei sind dem angeblich so überzeugten Europäer weitreichende Zugeständnisase bei den Agrarausgaben zugesichert worden. Doch der Brite hat den Gipfel platzen zu lassen. Abstriche am Briten-Rabatt wollte er seinen Landsleuten nicht zumuten.
Der Briten-Rabatt ist heute nicht mehr zu rechtfertigen. Blair muss erst noch beweisen, dass er mit seinen Angriffen auf die Agrarsubventionen nicht nur davon ablenken will. Grundsätzlich sind Subventionen nie gut. Auch der Agrarbereich muss dringend durchforstet werden. Doch auf eine eigene Ernährungsbasis sollten die Europäer nicht verzichten.
Wir brauchen die Europäische Union als Solidargemeinschaft. Der Premierminister kann nun mit Taten und nicht nur mit Worten beweisen, dass er Europa nicht nur den britischen Stempel aufdrücken will, sondern Lösungsvorschläge präsentiert, die für die meisten der 25 Mitglieder in der Union akzeptabel sind.
Kurz vor dem Start der »Tour de France« und auch dem Beginn von Blairs EU-Ratspräsidentschaft hat der sozialistische Fraktionschef im Europaparlament, Martin Schulz, ein treffendes Bild gefunden. Bisher seien die Briten immer eher am Ende des Hauptfeldes gefahren, vor dem Besenwagen. Nun müssen sie sich an die Spitze des Peletons setzen, und zwar bei einer Bergetappe.

Artikel vom 27.06.2005