23.06.2005 Artikelansicht
Ausschnitt Zeitungsausschnitt
Drucken Drucken

 

Vom Tanztee zum Party-Treff

Das »Café Europa« wird 75 - die wechselvolle Geschichte eines Traditionslokals

Von Michael Schläger
Bielefeld (WB). Wo Oma und Opa in den 50er Jahren noch dem Big-Band-Sound lauschten, legen heute DJs für die Enkelgeneration auf. Doch die Geschichte des »Café Europa« geht noch viel weiter zurück. Vor 75 Jahren, am 1. Oktober 1930, öffnete das Traditionslokal am Jahnplatz erstmals seine Pforten. Bereits am Wochenende wird das Jubiläum mit einer »Birthday Party« gebührend gefeiert.

Mit der Eingemeindung Schildesches wurde Bielefeld am 1. Oktober 1930 zur »echten« Großstadt. Dass zum gleichen Zeitpunkt ein »echtes« Großstadtlokal öffnete, war wohl eher ein Zufall. Der Tanztee am Nachmittag, bei dem der Tangogeiger von Tisch zu Tisch ging, wie auch die Konzerte namhafter Kapellen oder die Varietéveranstaltungen machten das »Café Europa« bei den Bielefeldern schnell beliebt. Ebenso die moderne Architektur des Gebäudes, das neben dem Haus der Technik errichtet worden war. Im Innern bot ein umlaufender Balkon den besten Blick auf die Gäste und auf Bielefelds zentralen Platz.
Am 6. August 1944 war Schluss mit der Feier-Herrlichkeit. Sieben Fliegerbomben zerstörten das »Café Europa«. Auch vom Markenzeichen, der sechs Meter hohen Lichtsäule blieb nichts. Nur die Fassade hielt noch stand.
Architekt Heinrich Reckert, der schon den ersten Entwurf gezeichnet hatte, war auch für den Wiederaufbau verantwortlich. Ihm gelang die Verbindung zwischen der nunmehr 20 Jahre alten Architektur und modernen Elementen. Das neu geschaffene »Europa-Stübchen« wurde ein beliebter Treffpunkt.
Doch mit der Verbreitung des Fernsehens sank auch der Stern des »Café Europa«. Der Musikgeschmack tat ein übriges. Beatmusik hörten die jungen Leute lieber in rustikalerer Atmosphäre. Erst der Disco-Sound der 70er lockt wieder Publikum an. Täglich außer montags war das Café jetzt von 20 bis drei Uhr geöffnet. Auch der Tanztee kehrte noch einmal zurück. Roland Kaiser, Juliane Werding oder Howard Carpendale traten auf.
Dann kam es immer häufiger zu Pächterwechseln. »Zitti« hieß das Café vorübergehend oder »Swing«, »Opera« und »Charlie Banana«. Mit den Namen wechselten auch immer wieder die Konzepte. Das »Nachtrock« brachte Heavy-Metal-Sound, das »Cuba Libre« Latino-Klänge. 1998 sollte das Lokal als »Spartakus« zum Homosexuellen-Treff werden. Nach acht Wochen war Schluss. Kurz danach wurde das »Café Europa« im Retrosstil wieder hergerichtet. Aus beiden Etagen ist nun wieder der Panoramablick über den Jahnplatz möglich. 1999 war die Wiedereröffnung. Markus Boehnke, Oliver Patz und Friederike von Spiegel gehören heute zur Betreibergesellschaft »CE«. Ihr Partner ist Sascha Berg, der mit seiner »fast4ward«-Veranstaltungsfirma für das Programm, Werbung und Deko sorgt. »Wir erreichen heute ein Publikum zwischen 20 und 30 Jahren«, erläutert er. House, Funk und Soul haben den Tango der Anfangsjahre abgelöst. Das Team kann auf ein festes Publikum setzen. »Das ist wie eine große Familie«, sagt Berg.

Artikel vom 23.06.2005