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Soulmusik klingt
auch auf deutsch
Stefan Gwildis überrascht mit seiner Interpretation der Klassiker
Zugegeben, seine neue CD »Nur wegen dir« (Gwildis' Version von Van Morrisons »Brown Eyed Girl«) reißt, obwohl auf Anhieb auf Platz elf in den Charts eingestiegen, beim ersten Hören zunächst nicht vom Hocker. Aber spätestens, nachdem man den sympathischen Hamburger live erlebt hat, wandert die silberne Scheibe von ganz allein wieder in den CD-Spieler.
Die Bühne, das ist seine große Stärke. Auge in Auge mit seinen Zuhörern kann Stefan Gwildis sich von seiner besten Seite zeigen: Mit blitzenden Augen vermittelt er die Begeisterung für seine Songs, zeigt wie mitreißend noch handgemachte Musik wirkt, selbst Männern gefällt sein Drei-Tage-Bart-Lächeln.
Auf der Bühne, da kann er zudem seine Spontaneität beweisen, lädt er doch zum Abschluss eines kalten Open-Air-Konzertabends seine Zuhörer auch schon mal dazu ein, auf Tuchfühlung zu kommen und sich im Licht der Bühnenscheinwerfer aufzuwärmen. Dabei wärmen seine Songs doch bereits das Herz. Es dauert nie lange, dann nehmen sich bei seinen Konzerten die Pärchen in den Arm und tauschen verliebte Blicke.
Auf der Bühne kann Stefan Gwildis auch seinen Schalk ausspielen - und der sitzt ihm zweifellos im Nacken. Jahrelang hat er ihn trainiert - ebenfalls vor Publikum. Begonnen hat seine musikalische Laufbahn als Straßenmusiker, mit Musicals und Comedy. Dass Musik in seinem Leben eine wesentliche Rolle spielen sollte, das war Stefan Gwildis schon früh klar. Als Jugendlicher bekam er eine Gitarre geschenkt, und schon klimperte er drauflos: Bob Dylan, die Beatles oder Simon and Garfunkel hießen damals seine Stars. Und schon bald begann er auch, eigene Texte zu schreiben - zumeist wie auch heute noch gemeinsam mit seinem Schulfreund Michy Reincke.
Als eine Hälfte des Duos »Aprillfrisch«, als Sänger der kultigen Band »Die Strombolis« und auch mit der eigenen Band »Stefan Gwildis & the Drückerkolonne« machte sich Gwildis vor allem in Hamburg und Norddeutschland schon in jungen Jahren einen Namen. Seinen Lebensunterhalt verdiente er allerdings eher mit Gelegenheitsjobs als Lagerarbeiter, Lkw-Fahrer, Sonnenbankaufsteller und Weihnachtsmann.
Dass es dabei auch Zeiten gab, in denen er »vom Pfandgeld lebte«, störte den Hamburger nicht. »Viele Dinge brauche ich nicht«, erzählt er. Ein »dickes Auto«, die Einbauküche oder die Sitzgruppe fürs Wohnzimmer gehören dazu. Nur eines war ihm immer wichtig, und das ist auch ein Rat, den er seinem anderthalbjährigen Sohn Friedrich mitgeben will: bloß niemals verschulden! »Wäre ich Kanzler, so würde ich das auch allen anderen zurufen«, ergänzt Stefan Gwildis. »Es gibt so viele Dinge, die neben dem Kommerz wichtig sind.«
Und so hat sich der 47-Jährige die Freiheit bewahrt, so zu leben, wie es ihm gefällt - und vor allem musikalisch das zu tun, was er möchte. Da kam dann Heinz Canibol, Chef der Plattenfirma »105 music«, mit seinem Vorschlag, ein ganzes Album mit deutschen Soulklassikern aufzunehmen, gerade recht. »Neues Spiel« hieß im Juni 2003 die erste CD, die sich prompt 13 Wochen in den Charts hielt und insgesamt 60 000 Mal verkauft wurde. Darauf wird aus dem Bill-Withers-Song »Ain't No Sunshine« ein »Allem Anschein nach bist Du's«. »Me And Mrs. Jones« erklingt als »Sie lässt mich nicht mehr los«, »Chain Of Fools« heißt »Schön, schön, schön« und aus dem Klassiker »The Dock Of The Bay« wird »Mitten vorm Dock Nr. 10«.
Kann man sich kaum vorstellen? Stimmt. Aber es klingt trotzdem. Die Reibeisenstimme von Stefan Gwildis passt perfekt zum Soul und auch den Texten ist deutlich anzumerken, mit wie viel Liebe und vor allem Sorgfalt er an die Übersetzung gegangen ist. An jedem einzelnen Wort wird gefeilt.
Und so standen für den Hamburger plötzlich alle Zeichen auf Erfolg. Verschiedene Fernsehauftritte folgten, und im September 2004 wurde er von Dieter Thomas Heck mit der »Goldenen Stimmgabel« ausgezeichnet - als »Newcomer des Jahres«, und das mit 46 Jahren! Mit seiner Eigenkomposition »Wunderschönes Grau« - eine Hymne auf den Hamburger Himmel - nahm er am Vorentscheid zum Eurovision Song Contest teil und erreichte immerhin Platz vier.
Was hat sich geändert, seitdem aus dem Straßenmusiker ein bekannter Soulsänger geworden ist? »Es ist zeitlich enger geworden«, meint Gwildis, schließlich sei es ein Unterschied, nur im Umkreis von 100 Kilometern oder bundesweit unterwegs zu sein. Der Terminkalender sei zu einem wichtigen Utensil geworden. Ansonsten schrecke ihn der Tournee-Stress nicht: »Ich habe immer viel gearbeitet. Und schließlich habe ich mir ja gewünscht, dass mehr Leute meine Musik hören wollen.«
Ein Überbleibsel aus den alten Zeiten gibt es übrigens noch: Selbst zum schicken Anzug trägt Gwildis ganz selbstverständlich abgewetzte, grobe Arbeitsschuhe mit Stahlkappen. »Oft genug bin ich von meinem Job im Reifenlager direkt in den Bandbus gestiegen und zu einem Auftritt gefahren«, erinnert er sich. »Das ist einfach bequemes Schuhwerk, und irgendwie ist es zu meinem Markenzeichen geworden.« Einen Anlass wird es in naher Zukunft aber geben, bei dem er wohl darauf verzichten wird: Im August will Stefan Gwildis seine Freundin Lina heiraten... Corinna Strate

Artikel vom 09.07.2005